Mittsommerzauber
»Wiedersehen, Schafe!«
Es war ihr leises Lachen, das David aus seiner Erstarrung riss und ihn daran hinderte, sie einfach so davonfahren zu lassen. »Warten Sie!«, rief er. Wie von einem Magneten gezogen, ging er auf sie zu und blieb vor ihr stehen. »Wollen Sie nicht noch etwas trinken? Ich meine... Vielleicht...«
»Ja«, sagte sie sofort. »Kaffee wäre nett.«
»Ja, Kaffee!«, antwortete David. Er wurde gewahr, dass sein Lächeln sich verselbstständigt haben musste. Seine Mundwinkel schienen ihm an den Ohren festzukleben, so unwiderstehlich war sein Drang, diese Frau anzustrahlen. »Mal sehen, was Gustavs Küche zu bieten hat!«
*
Sie stießen mit den Armen zusammen, als sie sich beide gleichzeitig in Bewegung setzten und aufs Haus zugingen. Eva wich einen halben Schritt zur Seite und lachte verlegen. Sie hatte Mühe, richtig Luft zu holen, während sie David von der Seite anschaute. Seit sie ihn vorhin das erste Mal gesehen hatte, schien sie generell Schwierigkeiten mit dem Atmen zu haben. Vielleicht lag es an der Art, wie er sie ansah, so nämlich, als würde er sie für etwas Besonderes halten. Als wäre sie keine von Dreck und Wasser durchweichte, zu klein geratene Aushilfs-Schafhüterin, sondern eine wirklich attraktive Person. Er selbst, das hatte ihr gleich der erste kurze Blick klar gemacht, sah aus wie ein junger Gott. Er war wie Apoll und Eros in einer Person. Waren die beiden nicht sowieso ein und derselbe, nur mit verschiedenen Namen? Sie hatte es vergessen. So wie sie schlichtweg alles vergessen hatte, was sich außerhalb ihres Gesichtsfeldes befand. Verstohlen ging sie hinter David her und betrachtete sein Hinterteil in der gut sitzenden Jeans. O ja, er hatte etwas deutlich Apollonisches. Oder etwas Erotisches, das schien sogar noch besser zu passen. Sein Haar war dunkel und kurz geschnitten, doch die lebhaften Wellen, in denen sich die untergehende Sonne fing, deuteten darauf hin, dass es lockig wäre, wenn er es länger tragen würde. Seine Nase war im Profil ebenso markant wie sein Kinn, doch der energische Ausdruck seines Gesichts wurde durch den sinnlichen Schwung seiner Unterlippe auf eine Weise abgemildert, die eine Frau nur auf unzüchtige Gedanken bringen konnte. Eva holte Luft und zwang sich, mit dem Starren aufzuhören. Stattdessen schaute sie sich im Erdgeschoss von Gustavs Haus um, das sie soeben betraten. Der Flur war schmal, aber jede Ecke war zweckmäßig ausgenutzt. Eine kleine Garderobe, ein Regal für Schuhe, ein Schirmständer und ein hohes Regal mit allerlei Haushaltskrimskrams.
Gustavs Küche war altmodisch eingerichtet, aber ebenso gepflegt wie der Rest des Anwesens. Sauber geschrubbte Holzmöbel, dunkelrote Steinfliesen und karierte Vorhänge ergaben ein schlichtes, aber gemütliches Ambiente.
David machte sich sofort daran, Kaffee zu kochen.
Eva riss ihren Blick von seinem breitem Rücken los und betrachtete die Familienfotos an den Wänden. Die meisten von ihnen zeigten eine anziehend wirkende junge Frau mit langen dunklen Haaren. Auf einigen weiteren war eine andere Frau zu sehen, die der Jüngeren stark ähnelte. Eine Aufnahme zeigte Gustav zusammen mit beiden Frauen - die jüngere war darauf noch ein Mädchen von vielleicht zehnJahren -, und das Lachen, mit dem die drei in die Kamera blickten, ließ keinen Zweifel daran, dass es sich hier um eine Familie handelte.
David war ihren Blicken gefolgt. »Gustav mit Monica und seiner Frau.«
»Lebt sie noch? Ich meine, seine Frau.«
»Nein, sie ist gestorben, als Monica dreizehn war.«
Eva brannte die Frage auf der Zunge, in welchem Verhältnis David zu dieser Monica stand, doch natürlich wagte sie nicht, ihn darauf anzusprechen. Die beiden mussten auf jeden Fall mehr sein als nur Arbeitskollegen, denn welchen Grund hätte er sonst haben sollen, mit herzukommen? Außerdem deutete alles darauf hin, dass er sich bestens hier auskannte. Der Hund war freudig hechelnd um ihn herumgesprungen, als sie vorhin gemeinsam zum Haus gegangen waren, und die sicheren Griffe, mit denen er Wasser in die Kaffeemaschine füllte und Tassen aus dem Schrank nahm, ließen keinen Zweifel daran, dass er schon häufiger hier gewesen sein musste.
»Sie kennen sich hier aus, oder?«, fragte sie.
David nickte. »Als Junge habe ich hier mehr Zeit verbracht als bei mir zu Hause.« Er stellte zwei Tassen auf den Tisch und legte Löffel dazu.
»Hatten Ihre Eltern auch einen Hof?«
»Nein.« David lachte. »Das war es ja. Sie waren beide
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