Mittsommerzauber
Gefühl gehabt, ein Stück Heimat wiederzufinden. Nachdenklich lauschte David dem Geräusch der plätschernden Milch.
Dann, von einer Sekunde auf die andere, wusste er plötzlich, dass Eva hier war. Ihm schoss durch den Kopf, dass es vielleicht tatsächlich so etwas gab wie Magie, eine geheimnisvolle Macht, die bestimmte Sensoren in seinem Inneren aktiviert hatte, sodass er diese Frau wahrnehmen konnte, noch bevor sie richtig angekommen war.
Und tatsächlich, im nächsten Moment tauchte sie in der offenen Stalltür auf. Im Gegenlicht war ihre schmale Gestalt wie von Feenstaub überzogen. Langsam kam sie näher, eine stumme Frage im Blick.
»Sei froh, dass du nicht früher hier warst«, sagte David. »Am Anfang habe ich mich ziemlich dämlich angestellt. Aber dafür klappt es jetzt umso besser. Wie sagte mein Großvater immer: Du kannst alles erreichen. Du musst es nur wollen.« Er gab dem Schaf einen Klaps, und als es davongesprungen war, hob er den vollen Eimer. »Siehst du?« Er merkte, dass er sie mit seiner launigen kleinen Begrüßungsrede nicht aus der Reserve gelockt hatte. Beklommenheit breitete sich in ihm aus, während er aufstand und auf sie zuging. »Ist alles in Ordnung? Du siehst so... bedrückt aus.«
»Es ist nichts. Ich muss nur... nachdenken.«
»Über das Käsemachen?« David zeigte auf die beiden anderen Eimer, die er im Laufe der letzten beiden Stunden in mühsamer Melkarbeit gefüllt hatte. »Ich habe heute lange mit einem Kollegen telefoniert, der sich hervorragend mit dem Käsemachen...«
»Nicht nur darüber«, unterbrach sie ihn.
Er begriff sofort, was sie meinte. Stumm trat er nah an sie heran und legte seine Hand an ihre Wange. Sie schmiegte ihren Kopf in seine Handfläche und schien seine Berührung zu genießen, doch dann löste sie sich von ihm und wich einen Schritt zurück. »Lass uns anfangen, ja?«
»Womit?«, fragte er heiser.
»Mit dem Käsemachen natürlich.«
*
Es wurde eine ziemliche Katastrophe. Schafscheren und Melken war eine Sache, aber das Käsemachen offenbar eine andere. David musste kleinlaut einräumen, dass er zwar in seiner Kindheit jedes Jahr bei der Schur geholfen und unzählige Male das Melken übernommen hatte, aber kein einziges Mal beim Käsemachen dabei gewesen war. Das war allein Gustavs Domäne gewesen.
Von der Theorie bis zur Praxis war es ein weiter Schritt, vor allem dann, wenn zwischen beiden eine unerwartete Mauer aus komplizierten Gerätschaften auftauchte. David hantierte in der Käseküche mit Lab-Eimern, Sterilisatoren und Gerinnungsbehältern herum und stellte nach kurzer Zeit fest, dass er gut beraten war, wenn er es sein ließ. Er wusste zwar, dass der Frischkäse, den er herstellen wollte, nicht aus der Rohmilch, sondern der Molke gewonnen wurde, und dass die Molke vorher dickgelegt und daher erhitzt werden musste. Er wusste, dass die Wärme das Albumin der Molke gerinnen ließ. Er kannte auch aufs Grad genau die dafür erforderlichen Temperaturen und die einzelnen Schritte der chemischen Prozesse. Er war schließlich Lebensmittelchemiker.
Aber er hatte keine Ahnung, wie genau er diesen verdammten Käse machen sollte. »Wer braucht schon Ricotta«, murmelte er.
»Emil Martinsberg«, sagte Eva trocken.
»Wir werden eine Lösung finden.« Er grinste. »Und wenn sie im nächsten Käsegeschäft hinter der Theke liegt.«
Eva kicherte. »Na, dann viel Glück.« Ihr Gesicht wurde ernst, und zögernd setzte sie hinzu: »Ich wünsche uns beiden Glück. In jeder Beziehung.«
Das war alles, was er an Ermunterung brauchte. Mit zwei Schritten war er bei ihr und zog sie in seine Arme. Sie erwiderte seinen Kuss mit einem Hunger, der ihn überraschte. Sie hatte sich ebenso danach gesehnt wie er, eine Erkenntnis, die ihn mit einer wilden Befriedigung erfüllte.
Der Kuss dauerte nur ein paar Sekunden, dann fuhren sie auseinander. Draußen ertönte wildes Gebell, dann war Gustavs Stimme zu hören. »Akka, da bin ich wieder! Freust du dich?«
*
Gustav schaute dem davonfahrenden Taxi nach, und als er sich wieder umdrehte, sah er David und die Frau über den Hof kommen. Sein erster Impuls war, sich zu verstecken, aber dazu war es natürlich zu spät. Folglich tat er so, als wäre alles in bester Ordnung.
»Hallo. Da bin ich wieder. Was macht ihr denn hier?«
»Wonach sieht es denn aus?« David lächelte ihn an. »Wir kümmern uns um deinen Hof.«
Gustav fühlte einen Anflug von Arger, doch dann schalt er sich selbst einen
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