Mittsommerzauber
ansehen musste. So schnell gab sie nicht klein bei. »Bitte, Gustav! Lassen Sie sich operieren! Sie werden danach wie ein neuer Mensch sein! Und dann nehmen wir zusammen unser Projekt in Angriff. Wir werden Partner, verstehen Sie? Ich werde Ihnen auf dem Hof helfen, und wenn Sie...«
»Monica sucht schon einen Platz für mich in einer Seniorenresidenz«, unterbrach er sie. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ich kann vielleicht sogar Akka mitnehmen.«
»Sind Sie verrückt geworden?« Eva wusste, dass sie sich im Ton vergriff, doch sie konnte nicht anders. Sie glaubte, bereits zu wissen, was hier im Gange war. »Was wollen Sie in so einem Heim? Sie sind nicht so alt, dass Sie ein Pflegefall wären! Sie sind rüstig und gesund und können die Arbeit auf dem Hof bestens erledigen! Sie haben nur einen Bandscheibenvorfall! Das kann man beheben, und danach sind Sie ganz schnell wieder fit!« Sie hielt inne, um Luft zu schöpfen. Dann sah sie den Ausdruck in seinen Augen und fuhr argwöhnisch fort: »Sie verkaufen, weil Sie sich schuldig fühlen, oder? Ist es das? Was haben Sie mit dem Geld vor, Gustav?«
Er gab immer noch keine Antwort, doch das war auch nicht nötig.
»Sie will das Geld, stimmt’s? Monica braucht das Geld für irgendwas. Und Sie geben nach, weil Sie ein schlechtes Gewissen haben!«
»Sie kaufen sich ein Haus in Chicago.« Gustav brachte es nur stockend heraus. »Ich bin froh, wenn ich es ihnen finanzieren kann. Das ist mein Hochzeitsgeschenk für die beiden.«
Eva erstarrte. Das also war der Grund für Monicas Besuch heute gewesen! Folglich hatte David es sich anders überlegt.
Tränen schossen ihr in die Augen, als sie zur Tür ging, stolpernd, weil sie ihre Umgebung kaum noch erkennen konnte. Ihr Traum war ausgeträumt, er hatte sich doch für Chicago entschieden. Und für Monica.
Sie musste sich immer wieder über die Augen wischen, um nicht aus Versehen Passanten umzufahren oder gegen Laternenmasten zu knallen. Der erste rasende Schmerz war inzwischen heißer Wut gewichen. Sie kochte förmlich vor Zorn und hätte laut schreien mögen, um sich ein Ventil zu verschaffen. Stattdessen raste sie kreuz und quer mit dem Fahrrad durch Barkhult und hätte am liebsten jeden angebrüllt, der ihr in die Quere kam.
Auf der anderen Straßenseite sah sie eine Frau, die ihr bekannt vorkam, und erst, als sie schon fast vorbeigefahren war, merkte sie, dass die Frau niemand anderer als Britta war. Sie schob den Kinderwagen vor sich her und machte einen zufriedenen Eindruck. Anscheinend war ihre Einkaufstour erfolgreich verlaufen. Immerhin eine, der es gut ging, dachte Eva in jähem Selbstmitleid. Wenn Britta sie nicht schon gesehen hätte, wäre sie möglichst schnell und unauffällig weitergefahren, doch unter den gegebenen Umständen kam das natürlich nicht mehr infrage.
Widerwillig stieg sie vom Rad und schob es über die Straße. »Hej, Entschuldigung. Ich habe dich zuerst gar nicht gesehen. Alles in Ordnung? Hast du eingekauft?«
Doch die gespielte Leutseligkeit verfing nicht bei Britta. Niemand machte ihr so schnell etwas vor, und Eva schon gar nicht. Abgesehen davon brauchte es wahrhaftig keines besonders geschulten Blickes, um ihr vom Heulen verquollenes Gesicht zu bemerken.
»Was ist los?«, wollte Britta wissen.
»David«, brach es aus Eva heraus. »Er ist so ein Idiot!«
»Gestern war er noch Supermann. Wie kann jemand so schnell mutieren?«
Eva unterdrückte ein Schluchzen. »Wieso musste ich mich nur in so einen Typen verlieben!«
Britta hob die Brauen. Sie wirkte nicht sonderlich überrascht. »Was ist passiert?«
»Nichts. Das ist es ja. Ich bin einfach nur von der Voraussetzung ausgegangen, wir könnten so etwas wie eine Chance haben. Aber in dem Punkt habe ich mich wohl geirrt.«
»Bist du dir sicher?«, fragte Britta.
Eva zerrte ein Taschentuch hervor und rieb sich die Augen trocken, so fest, dass das Papier dabei zerriss. »Natürlich bin ich sicher. Und weißt du was? Er kann mir gestohlen bleiben. Soll er doch nach Chicago gehen, in sein neues Haus! Zusammen mit Monica! Sie haben einander verdient!« Sie brach ab und wandte sich zur Seite, damit Britta ihre Tränen nicht sah. Sie wollte nicht länger darüber reden, für sie war die Unterhaltung beendet. Mit einer gemurmelten Entschuldigung schwang sie sich wieder aufs Rad und trat in die Pedale, bis ihr die Waden schmerzten. In Bewegung zu bleiben war anscheinend das Einzige, was ihr in dieser Situation helfen
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