Mittsommerzauber
Himbeere war die Königin der Beeren. Trug alles in sich, was die Träume von einem idealen Sommer verhießen. Katharina liebte es, in den kurzen, schwedischen Sommern immer neue Gerichte zu erfinden, in denen die Himbeere eine Hauptrolle spielen konnte. Und musste doch zugeben, dass es nichts gab, was den reinen, unverfälschten Geschmack der Beere übertreffen konnte, wenn man sie pur genoss.
Annicka unterbrach das kulinarische Erlebnis und stieß Katarina in die Seite.
»Hej, seit wann essen wir von der Platte, Maina?«
»Ich weiß schon«, gab Katarina grinsend zu. »Von der Platte zu essen ist verboten. Aber es gibt Ausnahmefälle, in denen es erlaubt ist.«
»Zum Beispiel auf Tärna«, Annicka grinste zurück. »Wenn man eigentlich schon absolut voll ist, aber immer noch Lust hat, weiterzuessen.«
Sie nahm sich auch eine Himbeere, steckte sie in den Mund. Und lachte ihre Mutter verschwörerisch an.
»Die Königin der Beeren, ja?«
Katarina küsste Annicka schnell auf die Wange. Was für ein Glück war es doch, dieses Kind zu haben. Und was für ein Glück, dass sie und Annicka sich so blendend verstanden.
Augusta beobachtete die beiden und freute sich über die Harmonie, die dieses Mutter-Tochter-Gespann ausstrahlte.
»So, und jetzt kommt. Ihr wollt doch bestimmt wissen, was Onkel Johan euch hinterlassen hat.«
Katarina und Annicka sprangen auf. Beinahe hätten sie vergessen, weswegen sie nach Tärna gekommen waren. Annicka hängte sich bei Augusta ein, ihre Augen leuchteten.
»Ich bin echt gespannt. Wir haben noch nie was geerbt. Verrätst du mir, was es ist?«
»Ich denke nicht daran«, lachte Augusta »es ist eine Überraschung. Aber, sei beruhigt, ich denke, ihr werdet euch freuen.«
*
Die elegante weiße Motoryacht flog über das grün schimmernde Wasser auf die Insel zu. Es war ein prachtvolles Schiff, achtundzwanzig Meter lang, mit genügend Platz für 8 Personen, das mehr als zwanzig Knoten in der Stunde machte.
Am Steuer stand Sven Svanblom. Seine blonden Haare wurden durch den Fahrtwind zersaust, was ihm ein verwegenes jungenhaftes Aussehen gab. Wie selbstverständlich lenkte er die Yacht durch die Insellandschaft. Er liebte dieses Schiff, er liebte es, auf dem Wasser zu sein, den Duft des Meeres zu riechen, das Salz auf der Haut zu spüren. Sein Blick streifte die wie hingetupften, grünen Inseln, auf denen die Sommerhäuser der Stockholmer lagen. Aufwändige, reiche Holzhäuser in den typischen Rot- oder Gelbtönen, in denen die Stadtbewohner die Sommermonate verbrachten, weg vom Trubel Stockholms, mitten in einer grandiosen Natur.
Sven atmete tief durch. Nun war es doch gut, dass er auf den Wunsch seiner Mutter Viveca eingegangen war, mit ihr hier herauszufahren, auf die Insel, auf der sie ihre
Kindheit verbracht hatte. Zuerst war er über Vivecas Einfall genauso wenig begeistert gewesen wie seine Freundin Marita Tomasson, die es noch nie besonders auf das Land hinausgezogen hatte. Er selbst hingegen hatte sich gegen den Ausflug nicht aus Abneigung gegen die Natur gewehrt. Sven war ein Workaholic, der sich normalerweise keinen Urlaub gönnte. Und gerade jetzt, wo sich seine Firma, das Kaffeehandelshaus Svanblom, in einer kleinen Turbulenz befand und er mitten in den Verhandlungen mit dem größten schwedischen Kaffeeröster Tomasson, Maritas Vater, steckte, wollte er Stockholm eigentlich nicht verlassen. Jedenfalls nicht, bevor die Verhandlungen zu einem Abschluss gekommen waren.
Doch seine Mutter Viveca, eine attraktive, schlanke Frau mit einem sanften Gesicht, hinter dem sich jedoch ein eiserner Wille verbarg, hatte sich wie so oft durchgesetzt.
Und so langsam spürte er, wie der geschäftliche Stress, der ihn seit Wochen in Atem hielt, umso mehr von ihm abfiel, je weiter sich die Yacht von Stockholm entfernte. Wie so oft hatte das Meer eine geheimnisvolle Wirkung auf ihn. Plötzlich fühlte er sich entspannt und frei. Als seien alle Lasten von seinen Schultern genommen. Er kannte dieses Phänomen seit langem, und es war vor ein paar Jahren auch der Grund für ihn gewesen, sich diese hochseetüchtige Yacht zu kaufen. Er hatte damals vorgehabt, so viel Zeit wie möglich auf dem Wasser zu verbringen, um dort Kraft für seinen nervenaufreibenden Alltag als Geschäftsführer seiner Firma zu tanken. Doch es war anders gekommen. Der Job fraß ihn mehr und mehr auf. Das Schiff lag im Yachthafen. Er konnte sich glücklich schätzen, wenn er einmal im Sommer aufs Wasser kam.
Weitere Kostenlose Bücher