Mittwinternacht
neuen blauen Wollmantel und einen Rock. Sehr anständig. Als sie losging, begann die Panikbombe zu ticken.
Sie ging in Richtung des Portals der Kathedrale, wo Mom sie nicht mehr sehen konnte, und dann lief sie schnell über die Parkanlage, huschte von Baum zu Baum und rannte in die Church Street. Sie sah diesen großen glatzköpfigen Typen aus dem
John Barleycorn
kommen, und –
Danke, lieber Gott!
– hinter ihm stand Lol Robinson.
Sie winkte Lol wie wild zu.
«Jane?»
Er wirkte total überdreht, nervös, und gleichzeitig schien er froh zu sein, sie zu sehen. Anscheinend platzte er fast wegen all der Sachen, die er zu erzählen hatte.
Doch als Jane sagte: «Oh, Lol, Mom sitzt total in der Scheiße», und ihr vor Angst die Tränen über die Wangen liefen, hörte er einfach nur zu. Er hörte sich das ganze Zeug über das Ding an, das Mom und dieser durchgeknallte Huw den
Invasor
nannten. Und über den Kinderbischof, der offenbar der schwache Punkt war, so ähnlich wie die Sicherung in einem Stromkreislauf.
Als sie davon erzählte, unterbrach Lol sie schließlich. «Wann? Wie lange dauert es noch, bis der Kinderbischof …»
«Inthronisiert wird?»
«Ja. Wie lange noch?»
Sie standen vor dem Laden. Er hatte die Tür zugezogen und zitterte in seinem ausgefransten Sweatshirt.
«Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, an welcher Stelle des Gottesdienstesdie Zeremonie kommt. Vielleicht ist es schon in zehn Minuten.»
Sie fragte ihn, ob er nicht diesen Dick Lyden dazu bringen könnte, seinen Sohn aus der Kathedrale zu holen, aber Lol schüttelte nur den Kopf, genau wie sie es erwartet hatte. Dann schob Lol sie die Straße hinauf.
«Geh zurück, Jane. Bleib bei ihr.»
«Und was ist mit dir?»
«Ich tue … was ich kann.»
«Du weißt, was passieren wird, Lol, oder? Ich will mit dir kommen.»
«Das kannst du nicht.»
«Du
weißt wirklich
, was passieren wird, stimmt’s? Zumindest kannst du es dir vorstellen.»
«Ich
weiß
überhaupt nichts, Jane. Ich …»
«Lol …» Sie rutschte auf dem eisglatten Kopfsteinpflaster aus und klammerte sich an seinen Arm. «Dobbs hat versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Dobbs hat sich diesem Ding in den Weg gestellt – und jetzt ist er ein gelähmter, sabbernder …»
«Dobbs war ein alter Mann, und seine Gesundheit war nicht gerade die beste.» Er hielt sie fest. «Geh zu ihr zurück, Jane.»
«Und er war auch …» Jane befreite sich aus Lols Griff und starrte ihn an. «Er war auch ein wahnsinnig erfahrener Exorzist. Er wusste alles darüber, was man wissen kann; er konnte sich jahrelang darauf vorbereiten. Er wusste genau, womit er es zu tun hat, während Mom bloß …»
«Sie wäre bestimmt nicht besonders erfreut, wenn du eben sagen wolltest, sie ist bloß eine Frau.»
«Ach, hör doch auf. Es ist viel mehr als das.»
«Ja», sagte er.
«Lol, wer kann uns helfen? Wir erreichen diesen Huw Owen nicht. Der Bischof ist ein totaler Wichser, und die ganzen Typenin ihren Hundekragen sind einfach nur … Verwalter und Kirchendiener und Schatzmeister und Buchhalter. Da sammelt sich diese ganze gefährliche Energie und …»
Sie stellte sich mit dem Rücken an ein Schaufenster, als eine Gruppe Jugendlicher vorbeikam, die sich johlend mit Dosenbier bespritzten. Sie zogen die mittelalterliche Gasse zur Kathedrale von Hereford hinauf – die dort oben so riesig und funkelnd thronte wie die
Titanic
in der Dunkelheit –, und keiner von ihnen schien sie auch nur wahrzunehmen.
«Das alles kümmert die Leute doch keinen Scheiß mehr, oder?», sagte Jane.
49
Kostümfest
Als Jane zurückkam, waren Mom und Sophie verschwunden. Vermutlich waren sie in die Kathedrale gegangen. Sie sah sich um, weil sie hoffte, Lol hätte seine Meinung geändert und würde sie dorthin mitnehmen, wohin er gehen wollte. Doch sie entdeckte ihn nicht.
Sie war allein mit dem eisigen Mond und dem Gefühl, dass etwas passieren würde und dass keiner von ihnen etwas daran ändern konnte.
Mit sehr langsamen Schritten ging sie zur Kathedrale, weil sie hoffte, dass ihr noch irgendeine Erleuchtung kommen würde. Doch in der Kälte wurde nur ihr Gesicht steif, als hätte sie geweint und die Tränen würden auf ihren Wangen festfrieren.
Sollte sie vielleicht beten?
Und wenn, zu wem sollte sie beten? Sie wiederholte für sich, dass alle Formen der Spiritualität gut waren – allerdings benahm sich Frau Luna heute Abend wirklich wie eine eiskalte Schlampe.
In der Vorhalle wandte
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