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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Untersuchung der Todesursache zur Sprache zu bringen?
    Aber das wäre Dennys Sache. Denny war ihr Bruder. Irgendwann würde er Denny alles erzählen müssen, auch wenn er nichts davon hören wollte. Lol ging in den Laden hinunter.
     
    Denny hockte auf dem letzten vollgepackten Karton. John Barleycorn war Vergangenheit.
    «Etwas zu zerstören kann eine sehr reinigende Wirkung haben.» Denny hatte die Hände locker verschränkt. Sein Ohrring schwang vor und zurück wie ein Pendel: Tick   … tack   … tick.
    «Willst du   … was trinken gehen?»
    «Nein, heute nicht, Laurence.»
    «Es ist nur, dass du recht hattest», sagte Lol. «Wir müssen uns unterhalten.»
    «Das schaffe ich im Moment nicht, Kumpel.» Denny starrte aus dem Fenster. «Bin heute Abend sowieso keine gute Gesellschaft, das sag ich dir.» Er stand mit einem merkwürdigen Grinsen auf. «Ich bin weg, Laurence. – Du siehst ziemlich kaputt aus.Warum gehst du nicht einfach schlafen? Morgen sehen wir bestimmt schon viel klarer.»
    «Meinst du?»
    «Vielleicht.» Denny ließ seinen Blick durch den ausgeräumten Laden schweifen. «Gute Nacht, Kumpel.» In der Tür drehte er sich noch einmal um. «Und danke.»
     
    Es war Vollmond. In all dem Nebel der vergangenen Tage hatte man nicht gesehen, dass der Mond zunahm, aber jetzt hing er an einem eisigen, wolkenlosen Abendhimmel über der Broad Street.
    Heil Dir, Frau Luna,
    deren Licht auf unsre verborgensten Hoffnungen fällt.
    Ihre einzige verborgene Hoffnung bestand darin, dass Mom diesen Abend heil überstehen würde. Das galt für ihr gesellschaftliches Ansehen genauso wie für ihren Geisteszustand   …
    Heil Dir, von den Gestaden der Finsternis.
    Es wird keine Finsternis geben
, dachte Jane und legte all ihre Wil lenskraft in ihr Denken.
Es wird keine Finsternis geben.
    Sie standen auf dem Rasen und sahen zu, wie die Leute in die Kathedrale gingen. Es war die übliche Gemeinde, die sich zur Abendandacht versammelte, plus diejenigen, die sich von der Kinderbischof-Zeremonie mit ihrem vorweihnachtlichen Prunk und dem Gesang des Chores angezogen fühlten.
    Mom war in ihrem langen schwarzen Pfarrerumhang gekommen – dem Umhang für die Beerdigungen im Winter. Zum Teil trug sie ihn, weil man nicht mit einer abgewetzten gewachsten Jacke zu einer feierlichen Zeremonie in der Kathedrale auftauchen konnte, und zum Teil, weil man darunter viel besser ein   …
    O nein, echt!
    … unterarmlanges, vergoldetes Holzkreuz verstecken konnte, dass sie mit Hilfe des Schraubenziehers aus dem Lettner der Kirche von Ledwardine ausgebaut und anschließend mit Weihwasser bespritzt hatte.
    Das volle Programm! Und dabei hatte Merrily überhaupt keinen Plan. Falls das Schlimmste passierte, falls es einen Hinweis auf etwas gab, das sie
Unterwanderung
nannte, würde sie einfach nach vorne stürzen, das Kreuz herumschwenken und die magischen Worte aus dem Exorzisten-Handbuch rufen.
    Wahnsinn? Jedenfalls zumindest beruflicher Selbstmord. Das war einfach kein Benehmen für eine Pfarrerin der Kirche von England. Damit würde sie ihre gesamte Karriere auf den Müll werfen, und irgendwelche alten Säcke, die keine Frauen im Pfarramt sehen wollten, würden ein selbstzufriedenes Ich-hab’s-doch-immer-gewusst-Seufzen ausstoßen.
    Das ist doch genau das, was du gewollt hast, oder? Du hast doch immer gedacht, dass sie ihr Leben verschwendet.
    Nein! Mit Unbehagen wandte Jane den Blick von ihrer Mutter ab. Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Sie fühlte sich unsicher, und sie war verzweifelt. Sie brauchten Hilfe, und es gab keine.
    Sie betrachtete die Kathedrale, deren erleuchtete Fenster aussahen wie die Türen eines Adventskalenders. Ihr wurde die zeitlose
Abgesondertheit
dieses Gebäudes bewusst, obwohl es inmitten der Stadt lag. Sie dachte an seine mögliche Zukunft als Touristenattraktion oder Teppichladen oder so was. Das verwirrte sie noch mehr, und ihr Magen ballte sich zu einer Panikbombe zusammen. Dann kam eine Frau auf sie zu. Sie trug einen teuren Wildledermantel und hatte sich einen Seidenschal um den Kopf geschlungen – Sophie Hill, die Sekretärin des Bischofs und auch Moms Sekretärin. Sophie sah irgendwie ängstlich aus.
    «Oh, hallo, Jane», sagte sie höflich.
    Es hörte sich allerdings eher nach
Auf Wiedersehen, Jane
an. Mom sagte: «Willst du nicht schon mal reingehen, Spatz, und uns eine Bank mit gutem Blick aussuchen – aber nicht zu weit vorne, bitte.»
    «Klar», sagte Jane gehorsam. Sie trug ihren

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