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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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sich Jane nach links und ging durch eine gewöhnliche Holztür mit Glaseinsätzen in die Kathedrale. Es konnte einem jedes Mal die Luft wegbleiben, wenn man dieses Riesengewölbe betrat. Man wusste nicht genau, ob es eine Reaktion war, die von einem selbst kam, oder ob die alten Architekten diesen Vakuumeffekt genau berechnet hatten.
    Von der Orgel erklang eine gedämpfte religiöse Melodie. Jane stand hinter einer kleinen Gruppe anderer Kirchgänger. Die meisten von ihnen waren mittleren Alters oder älter.
    Da fiel Rowenna zwischen ihnen natürlich ziemlich auf.
     
    Als er am Steuer saß, dachte er daran, wie er das letzte Mal bei Dunkelheit auf dem Hügel gewesen war.
«Ich habe mich anders entschieden. Ich möchte nicht, dass du hereinkommst»
, hatte Moon gesagt.
    Was wäre gewesen, wenn er das nicht akzeptiert hätte? Wenn er mit ihr in die Scheune gegangen wäre? Wenn er dem Gefühl Widerstand geleistet hätte, von der Dunkelheit hinter ihr weggeschoben zu werden?
    Von der Dunkelheit weggeschoben? Er drehte ohne Ergebnis an der Heizung herum und versuchte sich das Gefühl dieses kurzen Moments ins Gedächtnis zu rufen. Da war ein Luftzug durch die leicht geöffnete Tür gedrungen. Es hatte sich angefühlt wie ein Spalt zwischen zwei Welten.
    Er wünschte, Denny wäre bei ihm. Denny, der die Purefoys ohnehin schon nicht leiden konnte, weil sie Moons Phantasien ausgenutzt hatten, um ihre alte, schlampig umgebaute Scheune vermieten zu können. Zugezogene! Idioten! An Dennys heißem, ehrlichem Zorn hätte er sich vermutlich ein bisschen aufwärmen können. Er musste diese verdammte Heizung zum Laufen bringen, denn er war einfach zum Auto gelaufen, ohne sich eine Jacke zu holen, weil er dadurch wertvolle Minuten verloren hätte.
    Wertvolle Minuten?
Als hätte er einen Plan! Als wäre die Zeit sein einziger Feind, der einzige Feind des kleinen, kurzsichtigen Lol, des vor Kälte zitternden Ex-Psychiatriepatienten.
    Der Astra kam auf der vereisten Fahrbahn ins Rutschen, und die Stoßstange streifte einen Zaunpfahl. Denny hatte einen Offroader, war früher Amateurrallyes gefahren. Aber Denny war nicht da, also musste Lol es alleine schaffen – ohne großes Wissen, dafür mit umso mehr Vermutungen und der Erinnerung an einen Luftzug, der durch einen Türspalt kam.
    Als er den kleinen Parkplatz vor der Siedlung aus der Eisenzeit erreichte, hielt er an und schaltete die Scheinwerfer aus. Es standen keine anderen Fahrzeuge dort, was hatte er denn erwartet? Ein paar schwarze Limousinen mit getönten Scheiben?
    «Du weißt, was passieren wird, stimmt’s?»
    Lol stieg aus dem Astra und ging den vertrauten Weg entlang. Hohe, kräftige Bäume standen dicht an dicht. Zwischen ihren Stämmen sah er den Lichterteppich der Stadt – doch oben auf dem Hügel war es stockfinster. Es gab keinen Widerschein der rauchenden Feuerstellen, um die sich die Familien in den strohgedeckten Hütten geschart hatten, um sich vor dem dunklen Schwingenschlag der Krähengöttin zu schützen.
    Noch nie im Leben hatte Lol so gefroren.
     
    Es fehlt nur noch der Weihrauch
, dachte Merrily.
    Die warmen Farbtöne der Steinmauern, die geschwungenen Formen der normannischen Gewölbe, die riesige, schwebende Corona, deren durchbrochene Formen im Licht der Kerzen einen magischen Schimmer verbreiteten.
    Gerade zog eine Kerzenprozession von Chorknaben, die ein lateinisches Lied sangen, durch die Kirche. Der größte der Chorknaben trug Messgewänder und eine Mitra und hatte einen Kerzenträger in weißer Albe an jeder Seite.
    Es waren etwa zweihundert Menschen in der Kirche versammelt. Sie wirkten vollkommen durchschnittlich, die meisten waren über fünfzig, doch es gab auch ein paar jüngere Gottesdienstteilnehmer.
    Sophie saß neben Merrily am Mittelgang in einer Bank. Sie hatte ihre behandschuhten Hände auf dem Schoß ineinander verkrampft. Das, was sie draußen gesagt hatte, mit einem Gesicht, das fast so weiß gewesen war wie der Mond, hatte Merrily augenblicklich in den hintersten Winkel ihres Kopfes verbannt. Nicht jetzt, nicht ausgerechnet jetzt.
    Merrily hielt unter dem Umhang das Kreuz fest. Sie betete, dass sie es nicht hervorziehen musste. Sie betete, dass sie in kaum einer Stunde zusammen mit Jane lachend und erleichtert aus der Kathedrale zum Auto spazieren und das Kreuz unbenutzt auf den Rücksitz legen würde.
    Wo zum Teufel war Jane eigentlich? Im Kirchenschiff entdeckte Merrily sie jedenfalls nirgends, doch es gab in der Kathedrale

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