Mittwinternacht
aus ihren tiefgründigen Augen einen spöttischen Blick zu. Genau wie ihre Mutter.
5
Der letzte Exorzist
Der Bischof lächelte breit, redete schnell und war in bischöfliches Violett gekleidet.
«Also, die Kirche», seine Stimme klang nach Privatschule mit leicht abgeschliffener Aussprache. «Die Kirche ist … hierarchisch, konservativ, überall herrscht Konkurrenz, es ist ein ständiges Hauen und Stechen, und sie ist grundsätzlich außerstande, irgendetwas gebacken zu kriegen.»
Michael Hunter schien bei jeder Gelegenheit Wert auf die Farbe seiner Kleidung zu legen. Dieses Mal war es ein violetter Jogginganzug. Der Bischof joggte regelmäßig durch die Stadt und ihre Umgebung. Normalerweise tat er das in den frühen Morgenstunden, und er legte dabei, wenn man der
Hereford Times
Glauben schenken durfte, wöchentlich ein Mindestpensum von dreißig Meilen zurück.
«Jetzt könnte man ja annehmen, dass es
keinerlei
Problem darstellt, ein Büro im Klostergebäude zu organisieren, schließlich gibt es dort Dutzende von Zellen und Winkeln und Arbeitsräumen … aber über all das herrscht der Dekan. Und wenn der Dekan sagt, dass kein Büro frei ist, darf ich nicht mal den Anflug eines Zweifels äußern. In den geheiligten Bezirken der Kathedrale muss sich sogar Gott dem Dekan beugen. Also müssen wir uns anderswo umschauen. Es tut mir wirklich leid, Merrily.»
«Vielleicht ist das beabsichtigt, Herr Bischof.»
«Mick», korrigierte sie der Bischof. «Beabsichtigt? O ja, natürlich ist das beabsichtigt. Der Bastard beabsichtigt, mich zu frustrieren. Wer ist nämlich das älteste Mitglied dieses Domkapitels? Dobbs!» Der Bischof sprach den Namen so grimmig aus, als spräche er von einer Spam-Mail. «Dieser alte Kerl ist wirklich allgegenwärtig. Überall schleicht er herum wie ein finsterer, boshafter Geist. Am liebsten würde ich Dobbs …
exorzieren
.»
«Ich fühle mich jedenfalls nicht sehr wohl bei der ganzen Sache.» Merrily schenkte dem Bischof Tee ein.
«Oh, warum denn?» Der Bischof legte fragend den Kopf zur Seite, als verstünde er überhaupt nicht, was sie meinte. Dann ließ er Zucker in seinen Tee rieseln. «Und wissen Sie, was das Schlimmste an Dobbs ist? Er jagt den Leuten
Angst
ein – das muss man sich mal vorstellen. Da glaubt jemand, einen unsichtbaren Mitbewohner im Haus zu haben, ist mit den Nerven am Ende und rafft irgendwann all seinen Mut zusammen – wenn er nicht von reiner Verzweiflung getrieben wird –, um bei der Kirche Hilfe zu suchen. Und dann klingelt ausgerechnet diese verschrobene Gestalt an seiner Tür, bei der man an einen Beerdigungsunternehmer denken muss, und krächzt irgendwelche gruseligen Sachen wie der Rabe von Edgar Allan Poe. Da arrangiert man sich doch lieber mit seinem verdammten Hausgeist.»
Der Bischof sagte, wie Merrily aufgefallen war, ziemlich oft «verdammt», aber stärkere Ausdrücke verwendete er nicht. Offenkundig war ihm genau bewusst, was er sich erlauben konnte, ohne sein Image als cooler Christ zu schädigen. Merrily war entschlossen, sich von Mick Hunter weder zu stark beeindrucken zu lassen, noch ihn zu unterschätzen, und sie wollte sich auch nicht bedrängen lassen. Sie wünschte sich, er wäre ein bisschen mehr wie Huw Owen; allerdings wurden Männer wie Huw niemals Bischöfe.
«Hören Sie, Merrily …» Er ließ seine Stimme tiefer klingen, wie ein Radiomoderator in der Spätsendung. «Mir ist klar, wie Sie sich fühlen müssen. Aber Sie sind ein sehr souveräner Mensch, sonst würde ich Sie in diesem Job auch gar nicht haben wollen.»
«… keine Fundamentalistin, keine Charismatikerin und halten keine Happy-Clappy-mir-geht’s-toll-Gottesdienste ab. Sie haben mit der Kirche offenbar kein Hühnchen zu rupfen, und ich verstehe,
warum er auf Sie gekommen ist. In vielerlei Hinsicht sind Sie genau der Mensch, den wir bei unserem Grabenkampf brauchen könnten.»
«Kennen Sie Huw Owen?», fragte sie.
«Nur dem Namen nach. War ein großer Vorkämpfer für die Ordination von Frauen, lange bevor sie Mo … machbar wurde.»
Mode wurde
, hatte er sagen wollen. Bevor die Frauenordination
Mode wurde
, hätte sich Mick Hunter bei diesem Thema sehr bedeckt gehalten. Merrily versuchte, ihn mit Janes Augen zu sehen, aber das war nicht leicht. Micks blaue Augen waren klar und strahlten eine überwältigende Integrität aus. Er hatte einen – irgendwie unbischöflichen – blauen Bartschatten ums Kinn. Er roch leicht nach reinem,
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