Mittwinternacht
überhaupt nicht verändert. Ist nicht gewachsen,dieselbe kleine Nickelbrille, und er trägt immer noch dieses schwarze Sweatshirt mit dem Alien vorne drauf – vermutlich ein Symbol für das Gefühl, das er gegenüber der Allgemeinheit hat, oder dafür, wie er glaubt, von manchen Leuten gesehen zu werden.»
«Aber abgesehen von seinem fehlenden Bewusstsein für Modetrends wirkte er okay?»
«Nein, er hat mit den Armen gerudert und hatte Schaum vorm Mund. Natürlich wirkte er okay! Wir sind auf einen Kaffee ins All-Saints-Café gegangen. Da war ich vorher noch nie drin. Ein echt cooler Laden.»
«Das ist in einer Kirche.»
«Ja, hab ich bemerkt. Schön, dass mal eine sinnvoll genutzt wird. Jedenfalls hab ich Lol danach ausgefragt, was er jetzt macht. Er wollte es mir nicht sagen, aber ich kann ziemlich hartnäckig sein.»
«Hast du ihm seine Gitarrenspielerhand an eine Gesangbuchablage genagelt?»
«Willst du jetzt hören, was er macht, oder nicht?»
«Ist ja schon gut.»
«Halt dich fest! Er macht ein Praktikum, um Psychiater zu werden.»
«Was? Aber er war doch …»
«Na ja, eigentlich kein richtiger Psychiater. Er hasst Psychiater schließlich, weil sie die Leute bloß mit Medikamenten zuknallen, um sie ruhigzustellen. Mehr so eine Art Psychotherapeut. Er ist in Hereford selbst zu einem gegangen, und der Typ hat festgestellt, dass Lol nach seiner jahrelangen Erfahrung mit psychiatrischen Kliniken mehr über alle möglichen -ogien und -ismen weiß als er selber, also hat er ihn ein paar Tage die Woche für so eine Art Ausbildung am Arbeitsplatz angestellt, und außerdem besucht Lol eine Abendschule. Ist das nicht echt cool?»
«Es …» Merrily unterbrach sich. «Ja», fuhr sie dann fort. «Ich glaube, Lol könnte so was richtig gut. Er verurteilt niemanden. Ja, das ist wirklich cool.»
«Und er spielt wieder. Er hat ein paar Songs aufgenommen, allerdings darf sie keiner hören.»
«Nicht mal du?»
«Ich arbeite noch dran. Vielleicht gehe ich wieder hin – der kleine Laden gefällt mir. Ein Haufen Zeug von Indie-Folk-Bands. Und ich habe mich richtig gefreut, ihn wiederzusehen.
Ich
will den Kontakt nicht aufgeben, bloß weil er aus Ledwardine weggezogen ist.»
Merrily sagte verhalten: «Lol hat Zeit gebraucht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.»
«Oh», sagte Jane leichthin. «Ich glaube, er hat noch was anderes als das gebraucht, du nicht?»
«Fang bitte nicht damit an.»
«Zum Beispiel jemanden, der nicht aus lauter Angst vor dem Dorfklatsch keine Beziehung anfängt.»
«Das reicht», sagte Merrily sanft, «okay?»
«Na gut.» Jane drehte die Musik auf Disco-Lautstärke und wandte ihren Blick dem letzten bernsteingelben Lichthauch zu, der über den Black Mountains schwebte. Schwacher Regen legte einen Wasserfilm auf die Windschutzscheibe.
«Es scheint allerdings gesellschaftlich okay zu sein», glaubte Merrily ihre Tochter murmeln zu hören, «mit einem Bischof ins Bett zu steigen.»
Als Merrily an diesem Abend unter ihrem Schlafzimmerfenster im Pfarrhaus betete, wurde ihr klar, dass sie sich mit der Frage nach dem Exorzisten-Amt in diesem Stadium nicht an Gott wenden sollte. Üblicherweise lautete ihr Rat an Gemeindemitglieder, die vor einer Entscheidung standen, zunächst einmal alle Informationen zu sammeln, die sie für jeden Standpunkt zu dem betreffendenProblem finden konnten, und Gott erst danach um eine Entscheidungshilfe zu bitten.
Na gut. Sie würde zuerst innerhalb der Kirche nach einem unabhängigen Berater suchen.
Sie setzte sich auf die Bettkante und sah aus dem Fenster. Draußen schimmerten die Lichter von Ledwardine durch das Laub der Bäume. Bei diesem Anblick musste sie daran denken, was Huw Owen darüber gesagt hatte, wie leicht weibliche Pfarrer zur Zielscheibe wurden.
Im Dunkeln sieht man ihre gierigen Rattenaugen blitzen.
Diesen Punkt hatte sie Mick Hunter gegenüber nicht zur Sprache gebracht. Er hätte es bestimmt ernst genommen, aber nicht so, wie Huw es gemeint hatte.
Ein Schauer überlief Merrily, und sie kroch zu ihrer Wärmflasche ins Bett. Ethel, die schwarze Katze, rollte sich auf der Bettdecke neben ihren Füßen zusammen, und Merrily dachte an die Nacht, in der Ethel auf den Armen Lols im Pfarrhaus aufgetaucht war, nachdem ein Betrunkener das Tier getreten und verletzt hatte. Sie hoffte, dass Lol mit seiner Freundin glücklich wurde. Lol und Merrily – das hätte nie funktioniert.
Später, als sie schon kurz vorm Einschlafen war, hörte sie
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