Mittwinternacht
erzählen wir Hochwürden Mom besser nichts.»
«Ist ja klar, dass sie solche Sachen nicht so prickelnd findet. Alternative Spiritualität – das muss ja subversiv sein!»
«Eigentlich ist sie ziemlich liberal. Na ja, bis zu einem gewissen Grad. Momentan ist die Lage aber ein bisschen heikel. Also wäre es mir lieber, wenn wir ihr nichts sagen, verstehst du?»
Jane dachte an die Seelenpolizei. Dann sah sie Rowenna an. Sie erschien ihr intelligent, erfahren und selbständig. Rowenna konnte sie bestimmt vertrauen.
«Ich meine, schätzungsweise findet Mom jede Art Spiritualität besser als gar keine», sagte Jane grinsend. «Und ungefähr genauso denke ich über die Kirche von England.»
An diesem Abend bereiteten Merrily und Jane sich ein paar belegte Brote vor und aßen sie zu einer alten Folge von
King of the Hill
. Danach sagte Jane, dass sie in ihr Apartment gehen, noch ein bisschen lesen und sich dann früh ins Bett legen würde. Also zog sich Merrily wie üblich in die Küche zurück.
In der Küche fühlte sie sich immer am ausgeglichensten. Der Raum war ziemlich riesig, aber sie hatte eine Menge Schränke und Regale hineingestellt, eine bequeme Sitzecke eingerichtet, und gedämpftes Licht gab es auch. Kürzlich hatte sie die alte Spülküche, die hinter der eigentlichen Küche lag, in ein Büro umgewandelt. Wenn man so wollte, war das hier
ihr
Apartment.
Nachdem sie nur zu zweit hier wohnten, standen weite Teile des Pfarrhauses leer. Eine Riesenverschwendung. Kein Wunder, dass die Kirche große Teile ihres Grundbesitzes verkaufte und Pfarrer in Neubauwohnsiedlungen unterbrachte.
Wenigstens fürchtete sich Merrily nicht mehr so vor all den geschlossenen Schlafzimmertüren, die eine unheimliche Rolle bei den paranormalen
Fluktuationen
gespielt hatten, die sie leicht dazu hätten bringen können, Kanonikus Dobbs um Rat zu bitten – wenn sie damals schon von ihm gewusst hätte. Inzwischen war es da oben seit ein paar Monaten ruhig geblieben. Vor ein oder zwei Tagen hatte sich Merrily bei dem Gedanken ertappt, dass sie sich über
seine
Rückkehr direkt freuen würde: Dann hätte sie nämlich Gelegenheit, einen
Abdruck
aus der Nähe zu studieren.
Andererseits, vielleicht doch besser nicht. Nicht jetzt.
Es war Viertel nach zehn. Der Bischof hatte ihr seine Privatnummer gegeben und ihr erlaubt, ihn jederzeit anzurufen, doch bisher hatte sie das noch nie getan. Vielleicht war Viertel nach zehn ja auch schon zu spät.
Sei kein Feigling.
Merrily ging in die Spülküche hinüber und schaltete die Schreibtischlampe an. Das Lämpchen am Anrufbeantworterblinkte nicht; ausnahmsweise hatte mal niemand angerufen. Auf dem Schreibtisch stand der Mac, den sie gebraucht gekauft hatte. Gott weiß, was in dem Exorzisten-Büro installiert werden soll, dachte Merrily. Noch konnte sie absagen.
Sie griff nach dem schnurlosen Telefon und tippte schnell die Nummer ein. Es klingelte nur zwei Mal, bevor sie Mick Hunters Stimme hörte. Die Radiomoderatorenstimme aus der Spätsendung.
«Hi. Val und Mick sind im Moment nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton. Gottes Segen.»
Merrily zögerte eine Sekunde und legte dann auf. Sie würde das morgen auf korrekte Art hinter sich bringen. Sie würde in seinem Büro anrufen und einen Termin ausmachen. Es war ihr klar, dass Mick Hunter im persönlichen Gespräch die Neigung hatte, mit seiner Überzeugungsfähigkeit die Zweifel und Bedenken anderer wegzufegen, aber das würde ihr in diesem Fall nicht passieren.
Sie überlegte, ob sie Huw Owen in seinem kargen Pfarramt in den Brecon Beacons anrufen sollte. Aber was wollte sie ihm sagen?
Ihr wurde klar, dass der einzige Grund, aus dem sie Huw so spät noch anrufen wollte, die schwache Hoffnung war, dass er seine Meinung über die Eignung weiblicher Pfarrer für den Grabenkampf geändert hatte.
Unzufrieden mit sich selbst knipste sie die Lichter aus und ging, mit Ethel auf den Fersen, hinauf in ihr Schlafzimmer.
Das Telefon auf dem Nachttisch weckte sie.
«Hochwürden Watkins?»
«Ja.» Merrily setzte sich verschlafen auf.
«Oh … es tut mir leid, Sie zu stören. Ich wollte mit Ihrem Mann sprechen. Ist er da?»
«Ich fürchte, er ist tot.» Merrily blinzelte zur Leuchtanzeige ihres Weckers hinüber und tastete zugleich erfolglos nach dem Lichtschalter über dem Bett.
Fast zehn nach zwei?
«Entschuldigen Sie», sagte die Frau, «habe ich vielleicht die falsche Nummer? Ich wollte mit
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