Mittwinternacht
Backsteingebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert mit den üblichen hässlichen Anbauten. Vonvorne eine Katastrophe, aber die Lage am Wye, nur ein paar hundert Meter flussabwärts von der Kathedrale, war wunderschön. Wenigstens gab es um kurz vor drei Uhr morgens keine Parkplatzprobleme. Merrily ließ den Volvo bei einem kleinen Park stehen, von dem aus ein schmaler Weg zu der Fußgänger-Hängebrücke über den Fluss führte, wo jetzt alles in tiefster Dunkelheit lag.
Sie war natürlich schon oft in diesem Krankenhaus gewesen, um Mitglieder ihrer Gemeinde zu besuchen, allerdings noch nie um diese Zeit. Und auf der Alfred-Watkins-Station war sie überhaupt noch nie gewesen. Vermutlich hatte man sie nach dem Hereforder Pionierfotografen, Friedensrichter und Entdecker der Energielinien benannt. Soweit Merrily wusste, war sie nicht mit ihm verwandt, allerdings kannte sie die Seite ihrer Familie, die aus Herefordshire kam, nicht besonders gut.
«Gehen Sie bis zum Ende des Flurs», erklärte ihr ein Rettungssanitäter, der gerade vorbeikam, «dann links und gleich wieder links. Anschließend durch die Kunststofftür, die Treppe rauf, oben linksrum und durch die Doppeltür.»
Diese alten Gebäude eigneten sich wirklich für fast jede Nutzung großartig, mit Ausnahme von Krankenhäusern. Eine Tafel an der Wand neben dem Eingang wies diskret darauf hin, dass dieses Haus einst eine Irrenanstalt gewesen war, und als Merrily durch die spärlich beleuchteten, gewundenen Gänge schritt, konnte sie sich bestens vorstellen, wie die damaligen Patienten verwirrt in dem Haus umhergewandert waren – Krankheitsgerüche und Verzweiflung in der Luft.
Trotz der Wegbeschreibung verlief sie sich in dem düsteren Labyrinth, und es dauerte ewig, bis sie endlich ein Schild fand, auf dem stand, wie man zur Alfred-Watkins-Station kam. An ihrem Eingang standen zwei Krankenschwestern, die sich gestenreich, aber mit gesenkter Stimme unterhielten. Als sie Merrily sahen, traten sie einen Schritt auseinander.
Sie lächelte. «Schwester Cullen?»
«Auf der Station», sagte die jüngere Krankenschwester. «Wen soll ich melden?»
«Merrily Watkins.»
Die jüngere Krankenschwester schob sich durch die Doppeltür auf die dämmrige Station. Merrily zog den Reißverschluss ihrer gewachsten Jacke auf und fühlte sich ein bisschen besser, nachdem sie endlich angekommen war. Früher hatte ihr die Gegenwart Sterbender Angst gemacht, aber in letzter Zeit fühlte sie sich bei ihnen wohler, sah sie sogar mit einer gewissen Ehrfurcht an – denn viele von ihnen fanden zu einer erstaunlichen Ruhe und Gefasstheit vor dieser letzten großen Reise. Während ihrer drei Jahre als Geistliche hatten ihr mehrere Krankenschwestern zögernd berichtet, sie hätten schon
gesehen
, wie der Geist den Körper verließ wie ein Licht im Nebel.
«O verdammt!» Die ältere Krankenschwester hatte den Priesterkragen gesehen und wich leicht erschrocken zurück. «
Sie
sind der Pfarrer?»
«Um drei Uhr morgens», sagte Merrily, «werden Sie wohl kaum einen Erzbischof hierherkriegen.»
«Oh, sehen Sie …» Die Schwester war etwa Mitte fünfzig, rundlich und sehr aufgeregt. «Das ist nicht richtig. Das hätte Eileen wirklich nicht machen sollen. Schwester Cullen ist Atheistin, wissen Sie, aber sie hätte trotzdem ein bisschen sensibler sein können. Kennen Sie keinen männlichen Priester, der herkommen könnte?»
Merrily starrte die Frau ungläubig an, deren Gesicht unter den Hängelampen blass und fleckig wirkte. Und ziemlich ängstlich.
«Sehen Sie mich nicht so an. Es tut mir leid, Miss … Hochwürden. Es ist nur, dass wir einfach nicht noch eine Frau dabei brauchen können. Hören Sie, würde es Ihnen etwas ausmachen,hier zu warten, während ich hineingehe und mit Schwester Cullen rede?»
«Kein Problem», sagte Merrily knapp. «Machen Sie sich meinetwegen bloß keine Gedanken. Ich muss ja bis Sonntag nicht arbeiten.»
«Oh, hören Sie, wirklich, es tut mir leid, ja? Es tut mir wirklich leid.»
«Ist klar.» Merrily setzte sich auf eine lederbezogene Bank und holte ihre Zigaretten aus der Tasche.
«Es tut mir leid, aber hier dürfen Sie nicht rauchen.»
Schwester Cullen war etwa in Merrilys Alter, aber groß, kurzhaarig und etwas mürrisch.
Sie sieht mehr nach Pfarrerin aus, als ich es jemals tun werde.
Hinter ihr versank die Station in der Dunkelheit wie in einem viktorianischen Eisenbahntunnel.
«Ich habe Sie vermutlich am Telefon in die Irre
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