Mittwinternacht
geführt», sagte Cullen. «Ich war ziemlich konfus.»
«Sie
sind
ziemlich konfus.» Merrily stand auf. «Entschuldigen Sie, aber manchmal, und zwar ganz besonders um drei Uhr morgens und ohne Zigarette, kann sogar eine Geistliche ein ganz kleines bisschen sauer werden, verstehen Sie?»
«Bitte sprechen Sie leise.»
«Tut mir leid. Ich würde nur gerne wissen, worum es hier überhaupt geht.»
«Na gut.» Cullen deutete auf die Bank, und sie setzten sich. «Es ist Mr. Denzil Joy … das ist der Patient. Mr. Joy liegt im Sterben. Er wird die Nacht vermutlich nicht überstehen.»
«Das tut mir leid.»
«Bei allem Respekt, Mrs. Watkins, da wären Sie die Einzige.»
«Wie?»
«Wir haben es hier mit einer sehr schwierigen Situation zu tun.»
«Er hat um einen Priester gebeten, oder nicht?»
«Nein, das … das war die Sache, mit der ich Sie in die Irre geführt habe. Er hat nicht nach einem Priester gefragt.»
Sie zeigte mit dem Daumen auf die Doppeltür. Hinter der Scheibe sah Merrily die beiden anderen Krankenschwestern herausspähen. Sie wirkten, als würden sie am liebsten von der Station weglaufen oder wenigstens so nah wie möglich bei den Lichtern des Flurs draußen stehen.
«
Sie
waren es», sagte Schwester Cullen. «
Sie
haben mich gebeten, einen Priester zu rufen.»
Als sie Cullen durch die schummrig beleuchtete Station folgte, fühlte sich Merrily an die Kriegszeichnungen von Henry Moore erinnert, auf denen Leute in Luftschutzbunkern schlafen, einsam in Decken gewickelt. Im Hintergrund war schweres Atmen zu hören, unterbrochenes Schnarchen und die Laute sich umdrehender Körper. Das Gebäude selbst schien beständig ein leises Zischen und Rumpeln zu erzeugen. Merrily spürte eine knisternde Spannung in der von säuerlichen Krankengerüchen erfüllten Luft. «Er liegt in einem Überwachungszimmer», flüsterte Cullen. «Wir haben ihn immer in ein Überwachungszimmer gelegt.»
«In welcher … Verfassung ist er?»
«Chronisches Emphysem: Lungen voller Flüssigkeit. Ist schon seit Jahren krank – er war vorher schon vier Mal hier. Aber dieses Mal weiß er, dass er nicht wieder rauskommt.»
«Und er ist nicht … bereit. Oder?»
Cullen schnaubte verächtlich. «Hat am frühen Abend seine Frau rufen lassen.»
Merrily fragte sich, was Cullen damit sagen wollte. «Ist sie jetzt nicht mehr bei ihm?»
«Nein, wir haben sie nach Hause geschickt. Guter Gott!»
Eine Lampe mit Metallschirm brannte trostlos auf einem Tisch vor dem Überwachungszimmer, vor dem noch ein zusätzlicher Kunststoffparavent aufgestellt worden war.
«Dieser Mann hat das Böse in sich.» Schwester Cullen begann den Paravent wegzuschieben. «Wappnen Sie sich.»
Merrily sagte: «Ich verstehe nicht. Was meinen Sie …»
Und dann verstand sie. Das hier war ein Exorzisten-Job.
Huw Owen hatte betont:
«Selbstbeherrschung, Vorbereitung, Selbstschutz – IMMER.»
Damit hatte er zu dem Gebet übergeleitet, das «St. Patricks Harnisch» genannt wurde. Es war sehr alt, sehr britisch und gehörte zum Erbe der keltischen Kirchentradition, hatte Huw gesagt, und Merrily hatte ihn die Kraft des Eremiten ausstrahlen sehen, des Eremiten-Priesters in der Höhle auf der Insel.
Christus sei bei mir, Christus sei in mir,
Christus sei hinter mir, Christus sei vor mir,
Christus sei neben mir, Christus, den Sieg bring mir,
Christus, Trost und Gesundheit gib mir,
Christus unter mir, Christus über mir,
Christus im Frieden, Christus in Gefahr …
Sich mit dem Licht Gottes panzern, hatte Huw gesagt, darum ging es bei diesem Gebet. Die Pforten versiegeln, sich schützen, es war altchristliche Magie, hatte Huw hinzugefügt.
«Benutzen Sie sie!»
Aber auf die Idee war sie gar nicht gekommen. Sie hatte sich überhaupt nicht vorbereitet, war einfach aus dem Haus gerannt wie ein Assistenzarzt beim Notruf. Und mehr war es ja auch nicht gewesen – der übliche priesterliche Beistand für einen Sterbenden, eine Vertretung, weil sonst gerade niemand zur Verfügung stand. Niemand hatte erwähnt …
«Man hat uns gesagt, Sie wären für so etwas zuständig. Es gibt ein paar Komplikationen.»
Merrily war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass man den Krankenschwestern gesagt haben könnte, sie wäre eine ausgebildete Exorzistin. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass sie genau das jetzt war. Wer hatte ihre Nummer weitergegeben? Die Sekretärin des Bischofs? Der Bischof selbst?
Das war ein
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