Mittwinternacht
ja, manche sagen das ganz selbstverständlich, und dann lacht man, gehthinaus und kommt mit der größten Zange zurück, die man auftreiben kann. Aber Denzil Joy ist ein schwerkranker Mann, und er schien sich sehr zu quälen, also habe ich versucht, ihm behilflich zu sein.» Sie zog den Ärmel wieder herunter. «Und Sie haben ja gesehen, was er getan hat.»
«Oh.»
«Ein Griff wie ein Schraubstock, meine Liebe. Und ich hatte geglaubt, mich könnte keiner mehr täuschen. Verstehen Sie jetzt, warum wir einen männlichen Priester haben wollten?»
Eigentlich
, dachte Merrily,
wolltet ihr einen männlichen Pfleger haben
. «Hören Sie, Schwester … Entschuldigen Sie.»
«Schwester Protheroe. Sandra.»
«Sandra, dieser Mann liegt im Sterben, ja? Er weiß, dass er stirbt. Er fürchtet sich. Er sucht nach … Trost, vermute ich. Das heißt noch nicht, dass er vom Teufel besessen ist. Ich kenne seinen Hintergrund nicht. Ich meine …»
«Feldarbeiter und Schlachter. War schon ein paarmal bei uns. Aber da ging es ihm noch nicht so schlecht, er war noch kein hoffnungsloser Fall.»
«Feldarbeiter? Dann ist seine Vorstellung von Trost vielleicht ein bisschen … derb.»
Sandra schnaubte. «Lieber Himmel, es ist viel mehr als
das
. Sie verstehen es nicht, oder? Ich bin mit mehr solcher Typen fertiggeworden, als Sie Hochzeiten und Beerdigungen abgehalten haben – rücksichtslose alte Eber, die scharf auf alles sind, was sie betatschen können. Mr. Joy ist anders. Mr. Joy ist ein Schänder, ein Zerstörer – verstehen Sie, was ich meine? Es gefällt ihm, Tieren Schmerzen zuzufügen und sie zu töten, und es gefällt ihm, Frauen zu quälen. Sie zu verletzen, sie zu demütigen. Sie zu entwürdigen.»
«Ja. Das kann natürlich stimmen. Aber das heißt noch nicht …»
«Dieser Geruch … Das ist nicht natürlich, nicht mal in einem Krankenhaus. Das ist
sein
Geruch. Das ist der Geruch der Dinge, die er getan hat, und all der Dinge, die er noch immer tun will. Wir haben sogar mal eine Nacht lang eine Schale mit Neutralisierer unter sein Bett gestellt.»
«Was ist das?»
«Das benutzen Bestatter. Sie wenden es manchmal in den Särgen an, damit der Geruch die Trauernden nicht so abstößt.»
«Sie haben ein Bestatterdeo unter das Bett eines sterbenden Patienten gestellt?»
«Es hat nicht funktioniert. Man kann den Geruch des Bösen nicht mit Chemikalien entfernen. Eine Nachtwache bei diesem Mann, und man kann nicht mehr schlafen, wenn man nach Hause kommt. Man wacht mit diesem …» Protheroe schlang die Arme um ihren Körper. «Und die kleine Tessa – weiß wie die Wand war das Mädchen. Das war, nachdem seine Frau heute Nachmittag hier war.»
«Sandra, sehen Sie …» Merrily ging zur Tür. Das war wohl kaum das Verhalten, das man von einer staatlich geprüften Krankenschwester erwarten sollte. Sie musste mit dem Bereitschaftsarzt reden. «Sie sagen, dass ich die Situation nicht verstehe. Da haben Sie hundertprozentig recht. Ich verstehe das Ganze überhaupt nicht. Na gut, vielleicht ist er nicht besonders nett, vielleicht riecht er auch nicht besonders gut, aber das ist keine Entschuldigung dafür, ihn in den letzten Stunden seines Lebens so schlecht zu behandeln. Ich meine, was sagt denn seine Frau zu alldem?»
«Mrs. Joy sagt die ganze Zeit kein Wort», gab Sandra zurück. «Sie sind ja Pfarrerin, Ihnen kann ich doch von Mrs. Joy erzählen, nicht?»
«Wenn Sie glauben, das bringt was.»
Sandra stieß ein herbes Lachen aus. «Ist ungefähr zwanzig Jahre jünger als er, aber das würden Sie ihr nicht ansehen, in demZustand, in dem sie ist, das arme, unglückselige Schaf. Nein, kein Schaf, ein Kaninchen … ein armes, verängstigtes kleines Wesen. Wir haben sie eine halbe Stunde mit ihm allein gelassen, wie man es eben macht in solchen Situationen. Dann kommt Dr. Taylor zur Visite und muss auch zu Mr. Joy, ist ja klar, und Tessa geht rein, um Mrs. Joy für ein paar Minuten herauszubitten, und …»
Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Sandra unterbrach sich und sah zur Tür. Die Schritte entfernten sich. Sandra sprach mit gesenkter Stimme weiter.
«Der Stuhl steht so nah neben dem Bett wie möglich, verstehen Sie? Der Stuhl, auf dem Sie eben gesessen haben.»
«Ja.» Merrily stellte fest, dass sie die Hände aneinanderrieb. Sie wollte sich unbedingt die Hände waschen, aber nicht vor Sandra Protheroe. «Erzählen Sie weiter.»
«Mrs. Joy steht auf dem
Weitere Kostenlose Bücher