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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Stuhl. Sie hält ihr Kleid bis über die Hüften hoch. Ihr Slip hängt um ihre Knöchel.»
    Merrily schloss einen Moment lang die Augen.
    «Und Denzil liegt da, mit den Schläuchen in der Nase, Speichel läuft ihm übers Kinn, und er atmet keuchend und rasselnd vor Lüsternheit und verschlingt sie mit seinen kleinen Augen. Aber das war noch nicht das Schlimmste.»
    Sie schluckte, lehnte sich an ein Waschbecken und sah kopfschüttelnd auf ihre Füße hinunter.
    «Das Schlimmste war ihr Gesichtsausdruck. Tessa hat gesagt, dass die Miene dieser Frau vollkommen ausdruckslos war – wie bei einem Zombie. Sie hat einfach nur die Wand angestarrt, mit vollkommen ausdruckslosem Gesicht. Sie wusste, dass Tessa im Zimmer ist, aber sie ist trotzdem nicht vom Stuhl gestiegen. Hat überhaupt keine Verlegenheit gezeigt, obwohl sie sicher fast vergangen ist vor Scham und Demütigung. Aber sie stand einfach da und hat die Wand angestarrt. Weil
er
ihr gesagt hat, dass sie nicht vom Stuhl steigen darf.»
    Merrilys Mund war trocken.
    «Dieser Mann liegt im Sterben», sagte Sandra. «Und er weiß es, und sie weiß es, und immer noch schafft er es, ihr Angst einzujagen. Als er jung war, hielt er sich für unwiderstehlich. Eine Frau, die seine Familie kennt, hat mir alles Mögliche über die ganzen Frauen und Mädchen erzählt, die er gehabt hat, und darüber, wie er sie missbraucht hat. Aber sie sind trotzdem immer wieder zu ihm zurück. Das ist nicht mit rechten Dingen zugegangen. Er hat sie behext, damit sie zurückkommen, genau das hat er gemacht! Nicht mit seinem Aussehen oder seinem Verhalten, er hat sie einfach
behext
. Und dann ist er älter geworden und krank und hat geheiratet und kontrolliert seine Frau mit Angst. Und wie er daliegt und sich daran aufgeilt, wenn Tessa sieht, wie ihm die arme Frau zeigt, was
ihm gehört
– wenn das nicht wahrhaft böse ist, dann weiß ich nicht mehr, was das Böse ist.»
    «Was ist das Böse?»
, hatte Huw Owen gesagt.
«Das ist die Frage, auf die Sie niemals eine Antwort finden werden. Aber wenn Sie mit ihm im gleichen Raum sind, werden Sie es wissen.»
    Merrily sagte: «Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, was ich da tun kann.»
    «Schutz, sie will Schutz.»
    Die Tür war geöffnet worden. Schwester Cullen stand vor der Dunkelheit des Stationsflurs im Türrahmen.
    «Sie hat recht. Er ist ein schlechter Mann, und er besitzt eine unheilvolle Anziehungskraft. Aber sonst ist er ein ganz normaler Mann, und damit hat es sich für mich. Ich bin aus Derry, also weiß ich, was die Religion bei den Leuten anrichten kann, und ich will nichts damit zu tun haben. Trotzdem mache ich mir bei diesem Patienten Sorgen um die Krankenschwestern.»
    «Es wird immer stärker, je näher er dem Tod ist», sagte Sandra. «Das stimmt doch, oder?»
    «Sandra glaubt, dass der Geruch schlimmer wird.»
    «Und falls
Sie
nichts tun, wenn er stirbt, ist diese Station für immer verseucht. Und ich komme morgen nicht mehr zurück. Dann bin ich weg.»
    «Damit ich das richtig verstehe.» Merrily sah von einer zur anderen, von der Gläubigen zu der Atheistin, die im Grunde beide derselben Meinung waren. «Sie haben mich mitten in der Nacht hergerufen, aber nicht, weil Sie einem Patienten im Endstadium Trost verschaffen wollen, sondern weil   …
Sie
vor
ihm
geschützt werden wollen?»
    Cullen sagte erschöpft: «Wenn Sie glauben, dass Sie irgendetwas tun können, dann tun Sie es, aber ich rate Ihnen dringend, diesen bösartigen Mistkerl nicht noch einmal anzufassen.»
    «Schwester   …» Die junge Krankenschwester Tessa stand an der Tür. Sie weinte. «Können Sie bitte kommen?»

11
Kratz-Kratz
    Merrily dachte an die beinahe poetischen Abstraktionen von
Abdrücken
und
Besuchern
und
Weinenden
und
Atmern
.
    Sie dachte an den
Anhalter
– den körperlosen Geist, der eine Zeitlang den Körper eines anderen übernahm, oft zu einem speziellen, wenn auch unlogischen Zweck, und dann wieder verschwand.
    Darauf ließ sie sich die detaillierten Ausführungen durch den Kopf gehen, die Huw an den letzten beiden Kurstagen über die vermutlich schlimmste all dieser Erscheinungen gemacht hatte – den
Invasor
.
    Und dann rief sie sich die höchst wirkliche, erbärmliche, stinkende, röchelnde Erscheinung von Denzil Joy vor Augen, die in keine der fein säuberlich abgegrenzten Kategorien passte, dienach Charlie Headlands Bekunden an einen Spionagekrimi erinnerten. War Denzil Joy nicht einfach ein unangenehmer Mensch, der am Ende seines

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