Mittwinternacht
Zur Vorbereitung hätte ich gerne, dass wir uns einen Moment sammeln.
Vater unser
…»
Sie sprach das Vaterunser mit leiser Stimme, Tessa fiel ein, und anschließend legte sie der jungen Frau die Hände auf den gesenkten Kopf.
«Gott … bewahre und beschütze sie … vor den Kräften des Bösen.»
Erneut kam es ihr in den Sinn, dass dies alles eine verrückte, hysterische Überreaktion war: Es gab hier keine Kräfte des Bösen, keinen Go …
Sie zwang sich dazu, diesen Gedanken zu verbannen, und öffnete die Tür.
«Kommen Sie.»
Denzil Joy atmete gequält durch den Mund. Es hörte sich würgend und glucksend an, wie Wasser in einem altmodischen Badeofen. Das Geräusch schien den gesamten Raum zu erfüllen, unterstrichen von dem Summton, dem man offenbar in keiner Krankenhausstation entkam, und dem metallischen Gurgeln in den Heizungsrohren.
Die grünlichen Sauerstoffschläuche waren mit einem Plastikclip hinter seinem Kopf zusammengefasst. Etwas Schleim war an den Stellen angetrocknet, an denen die Schläuche in seine Nase führten.
«Soll ich irgendetwas machen?», fragte Tessa.
«Nehmen Sie sich einfach einen Stuhl.»
«Ich stehe lieber. Ist das okay?»
«Wenn Sie sich so wohler fühlen.»
Merrily setzte sich auf den Plastikstuhl, auf dem die bedauernswerte Mrs. Joy gestanden hatte. Der Sitz war in der Mitte eingesunken.
Gut. Sie schob einen Ärmel ihres schwarzen Pullis hoch, griff im Halbdunkel nach Denzils Hand und kniff unwillkürlich die Augen zusammen, denn die Hand fühlte sich ekelhaft an, als hätte sie in kalte Hundekacke gelangt.
Hör auf damit!
Sie ließ ihre Hand von seinen Fingern zu seinem knochigen Handgelenk hochgleiten, hielt es sanft fest und atmete bewusst langsamer.
«Denzil …» Sie räusperte sich. «Ich weiß nicht, ob Sie mich hören können. Ich heiße Merrily. Ich bin … die Pfarrerin von Ledwardine. Ich bin gerade auf meiner üblichen Besuchsrunde.»
Auch wenn er noch irgendetwas mitbekommen sollte, wäre ihm wohl kaum klar, wie spät es war und wie unwahrscheinlich, dass ein Pfarrer um diese Zeit eine Besuchsrunde machte. Sie durfte ihn auf keinen Fall aufregen.
«Ich wollte ein bisschen mit Ihnen beten, wenn Ihnen das recht ist.»
Seine Atmung veränderte sich nicht. Seine Augen blieben zu drei Vierteln geschlossen. Er schien sie nicht wahrzunehmen. Sie betrachtete sein hageres, hinterhältig wirkendes Gesicht. Ein Spuckefaden lief aus seinem Mundwinkel. Sie bat Gott, ihr ein bisschen Mitleid zu senden. Niemand sollte gehasst und verabscheut sterben.
«Er ist sehr, sehr schwach», murmelte ihr Tessa ins Ohr. «Ich verstehe nicht, wie er noch durchhält.»
Merrily nickte. «Allmächtiger Gott, himmlischer Vater», sagte sie leise. «Wir wissen, dass wir alle schlechte Dinge getan und gute unterlassen haben.»
Sie spürte, wie sich Denzils Handgelenk unter ihrem Griff drehte. Abgesehen von der Atmung war dies das erste Lebenszeichen. Er drehte das Handgelenk, sodass seine Handfläche nach oben zeigte, es war die Geste der Demut, als ob er auf sie reagierte und seine Hand mit der Bitte um Verzeihung ausstreckte.
«Im Namen Jesu Christi, unseres Herrn, Deines Sohnes, bitten wir Dich, uns zu vergeben, unsere Taten der Vergangenheit ruhen zu lassen. Schenke unseren Seelen Deinen Frieden.»
Sie verstärkte ermutigend den Griff ihrer Hand. Draußen ging Schwester Sandra Protheroe an der Tür vorbei, ohne einen Blick durch die Scheibe zu werfen.
«Wir kennen Deine Gnade, Deine Bereitschaft zu vergeben. Wir bitten Dich, Denzil von allem zu befreien, was auch immer seinen Geist gefesselt hat.»
Einer von Denzils Fingernägeln drückte sich langsam in ihre Handfläche, wie die Kralle eines verletzten Vogels. Es fühlte sich höchst unangenehm an. Anzüglich. Hätte sie sich doch niemals mit Sandra Protheroe unterhalten.
Tessa stand mit auf den Rücken gelegten Händen neben der Tür. Sie rang sich ein klägliches Lächeln ab.
«Darum bitten wir Dich», sagte Merrily. «Im Namen unseres Heilands Jesus Christus.» Ihr wurde schlecht, und sie schloss die Augen.
Mit einem Mal veränderte sich das Kratzen von Denzils Fingernagel in ihrer Handfläche. Es wurde schneller, rhythmischer. Ein leises, hohes Keuchen wurde unter seinem rasselnden Atem wahrnehmbar, und der süßsaure Geruch war zurück – plötzlich und unvermittelt strömte er ihn aus wie einen widerlichen Faden, der sich durch die dünne, schale Luft emporschraubte,um sich direkt in
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