Mittwinternacht
Merrilys Nase zu bohren und sich dort einzunisten.
«Wundbrand und Katzenpisse.»
O Gott! Merrily brach der kalte Schweiß aus, sie fühlte sich erschöpft, als würde sie eine Grippe bekommen.
«Ich sag Ihnen, was das ist, Hochwürden. Das ist der Geruch des Bösen.»
Es ist nicht das Böse. Es ist seine Krankheit. Es ist grässlich, aber es ist nicht das Böse.
Trotzdem presste sie die Lippen zusammen und musste dem Drang widerstehen, ihre Hand wegzuziehen. Das durfte sie
nicht
tun, sie durfte nicht reagieren.
Das ist mein Beruf, das ist mein Beruf, so etwas gehört zu meinem …
Sie konnte es jetzt beinahe hören.
Kratz-Kratz
– die winzige Bewegung eines gebogenen Nagels am Ende eines gelblichen Fingers. Merrily vermutete, dass es in Denzil Joys Phantasie kein harmloser Finger war.
Dieser Mann kann in Sie eindringen, ohne sich einen Millimeter zu bewegen.
Zieh die Hand weg, steh auf, geh hier raus.
Kratz-Kratz
, als würde er mitten auf ihrer Handfläche Hautschichten abtragen, um seinen Finger in ihr Fleisch stecken zu können. Aber das waren nur ihre eigenen Phantasien. Seine Energie, seinen Lebenskraft war so verbraucht, dass er zu mehr nicht imstande war:
Kratz-Kratz
. Der arme Mann – er verdient deine Menschlichkeit, wie alle anderen auch.
Der arme Mann, der arme Mann, der arme Mann …
Sie bemerkte, dass er lange und zitternd einatmete. Tessa kam ans Bett.
Dem Atemzug folgte kein Ausatmen. Eine furchteinflößende Stille breitete sich aus. Das Kratzen hörte auf.
«Das ist sie», sagte Tessa ruhig. Die junge Frau verfügte übereine unglaubliche Selbstbeherrschung. «Das ist die Cheyne-Stokes-Atmung, diesmal bin ich sicher.»
Merrily hätte schwören können, dass sie seine Körperwärme fühlte, die von seinem Kopf in ihren hinüberglitt, während sein Finger immer noch in ihrer Hand lag wie eine dünne Zigarre.
Mit einem Mal wirkte es in dem Raum viel dunkler und kälter – als ob der magere Körper in seiner Gier nach Lebensenergie alle Elektrizität, alles Licht und alle Wärme des Zimmers in sich aufsaugen würde.
«Ich glaube, er ist gestorben», sagte Tessa.
Dunkelheit. Kälte. Stille. Und der durchdringende Verwesungsgeruch. Sanft wollte Merrily ihre Hand von seiner lösen.
Und dann packte er sie.
«Ein Griff wie ein Schraubstock.»
Sein Ausatmen kam wie ein Zug aus dem Tunnel, und in demselben Moment schob er seine Finger zwischen ihre und hielt sie fest; ein leises, kicherndes Lachen schien die Luft zwischen ihnen zu versengen.
Und dann spürte Merrily etwas zwischen ihre Beine rutschen.
Sie wusste sofort, dass sie nichts dergleichen gespürt hatte, dass es nur Einbildung gewesen war, Konditionierung. Aber es war zu spät. Die Kälte schlängelte sich unaufhaltsam zwischen ihren Beinen hinauf, stieß in ihren Magen vor wie ein eisiger Einlauf. Sie hatte ihre Hand weggerissen und sich mit so viel Wucht zurückgeworfen, dass sie von dem Stuhl auf den schimmernden grauen Boden rutschte und gegen das Bett stieß, als sie sich selbst ausrufen hörte:
«Ich wappne mich mit ihrem Namen,
dem mächtigen Namen der Dreifaltig …»
Und als Tessa schrill aufschrie, rief sie hilflos aus:
«Fahre hinaus!»
Ohne zu wissen, wen oder was sie damit meinte.
Dann gab es ein reißendes, schnappendes Geräusch; Merrily sah die grünlichen Schläuche durch die Luft fahren wie elektrische Schlangen, die aus Denzils Nasenlöchern gerissen waren, als er sich mit einer unvermittelten, gewaltsamen Bewegung im Bett aufsetzte.
Tessa kreischte «Neeeiiiiiiin!», stieß an die Wand und stolperte hinaus, als die Tür von Eileen Cullen aufgerissen wurde, die wie erstarrt stehenblieb, während Denzil Joy wie ein dunkler Schatten zwischen ihr und Merrily aufragte.
12
Beschmutzt
Sie fand sich im Flur vor der Station wieder. Und sie stellte fest, dass sie halb schluchzte und halb lachte, aber es war kein echtes Lachen. Auf der anderen Seite des Tränenfilms kam eine kleine Flamme auf sie zu.
«Ist das nicht verboten?» War das
ihre
Stimme, dieses Plappern?
«Und wennschon, verdammt», sagte Cullen und gab Merrily Feuer, bevor sie sich selbst eine Zigarette anzündete.
Sie saßen auf der Bank vor der Doppeltür zur Station. Mit der Ruhe auf der Station war es vorbei.
«Wir haben ihnen gesagt, dass Tessa eine Maus gesehen hat, aber besonders die älteren Patienten … wie aufgescheuchte Hühner … Wir geben ihnen eine halbe Stunde, damit sie wieder einschlafen können, und dann
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