Mobile Röntgenstationen - Roman
einzuverleiben! Aber als ich in dem dunklen Hof in der Gorkijstraße stand, klingelte ich vergebens an jener mit Kunstleder beschlagenen Tür. Draußen, unter einem Ahornbaum, trocknete ein altes, schielendes Mädchen ihre kümmerliche Wäsche und teilte mir mit heiserer Stimme mit, Pan Antoni und Pani Lucija seien irgendwo unterwegs, und bog znaet, kogda [27] sie wiederkämen.
Ich hatte es mir angewöhnt, regelmäßig das Bočiai aufzusuchen, ein Speiselokal, nur eine Zigarette entfernt von Brūklys’ Haus, dessen Pforten sich für Biertrinker schon um acht Uhr am Morgen öffneten. Gleich daneben befand sich eine verwahrloste Kirche, deren Hinterfront das Militärkommissariat bildete, mit dreistöckigen Liegen und aus ganz Litauen zusammengetriebenen Rekruten. Es war ein sehr bunt gemischtes Publikum, das sich schon vormittags im Bočiai einfand. Der Komponist Paulaitis, noch immer produktiv, Enrike R., ein gescheiterter Schauspieler und Theaterkritiker, dazu allerhand Schreibfreudige, die sich auf das Feld der Literatur verirrt hatten, degradierte Maler und ähnliche Bohemiens. Sie hatten davon gehört, was mir drohte, die sich nähernde Frühjahrseinberufung. Nach einer halben Stunde, als der erste schlimme Durst gestillt war, bekam ich eine Menge Ratschläge, was zu tun sei, um davonzukommen. Die meisten Einfälle erschienen flach, abenteuerlich, rochen nach Wein und Bier. Ein Bein unter einen Trolleybus stecken, das war wirklich nicht meine Sache. Noch weniger, sich mit einem Beil den Finger zu amputieren, der notwendig war, um den Abzug eines Karabiners zu betätigen. Dann wandte ich mich zur Seite, um zu hören, was die anderen zu sagen hatten, die Gedienten , welche die russische Armee hinter sich hatten, meistens mit dem Dienstgrad eines Sergeanten. Die lobten natürlich die Armee als eine Schule der Männlichkeit und gaben zweifelhafte Abenteuer zum besten. Es waren meistens Rechtsanwälte und Ökonomen, ältere Semester, künftige Diener des Volkes. Gewöhnlich saßen die nicht lange hier, die Nomenklatura wartete, sie hatten es eilig. Und sie hätten mir ja, auch bei gutem Willen, nichts geraten. Allenfalls die alte Leier: Wenn du zurückkommst, mein Junge, siehst du die Welt mit anderen Augen! Wie sonst. So blieb ich unter Komponisten, Schauspielern und Literaten, gebrannten Kinder allesamt, der Suff und die Weiber hatten ihre Karrieren und ihre Existenz ruiniert. Verbitterung, ins Leere zielende Ehrgeizanfälle, auch das eine Schule des Lebens, klar. Ich brauchte jetzt, leider, andere Lehrer und andere Professoren. Tatsächlich, einer machte einen ernsten Vorschlag: Fünfhundert Rubel, und du bekommst die rettende Bescheinigung. Woher nehmen?
Das Datum der Zeitung, die ich jeden Tag kaufte, erinnerte gnadenlos daran, dass sich die Frühjahrseinberufung wie eine schwarze Wolke auf mich zu bewegte, mir blieb gerade noch ein Zipfelchen trüber April. Eines Tages fand sich in der Presse auch der übliche Befehl des Verteidigungsministers der UdSSR. – Die einen in die Reserve entlassen, die anderen unverzüglich einziehen! Aber dieses Frühjahr meinte es gut mit mir, die Militärs vergaßen mich! Vielleicht waren bereits genug Neuzugänge zusammengekommen, vielleicht meinte man auch, mein akademischer Urlaub sei noch gültig? Ich weiß es nicht. Mit Herzklopfen betrat ich jedes Mal Brūklys’ Haus, glaubte dort die Einberufung vorzufinden, aber es kam nichts. Die Frühjahrseinberufung ging vorüber, ich war davongekommen. Und bis zum Herbst, so schien es mir, blieb ein ganzes Jahrhundert! Bis dahin würde mir schon etwas einfallen. Vielleicht werden Antanas und Lucija zurück sein. Viel kann in dieser Zeit einem armen Teufel wie mir zustoßen.
Sommer. Die Stadt hatte sich geleert, ein trockener Wind trieb Papierfetzen durch die Straßen. Für ausgetrocknete Kehlen purzelten ständig jene kantigen Gläser aus den Getränkeautomaten, gefüllt mit kohlensäurehaltigem Wasser. Auf der Neris, deren Wasserspiegel sich deutlich gesenkt hatte, tuckerten Dampfschiffe stromaufwärts. Und mir ging ständig im Kopf herum, was ich im Herbst den sowjetischen Militaristen erzählen würde. Warum ich ihnen nicht dienen wollte. Warum mir das Kommissbrot nicht schmeckte, das strenge und karge, aber kameradschaftliche Soldatenleben. Um mich herum grünte und blühte es, und ich bemühte mich, mir nicht allzu viele Sorgen zu machen. Mit einem für den Personentransport umgerüsteten Lastwagen gelangte ich in jenen Ort,
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