Mobile Röntgenstationen - Roman
Panzerdivision gehorcht! Ihr ging es auch hier gut. Ein wenig über die sowjetische Dummheit lästern, Witze erzählen über Brežnev, das Politbüro, den KGB. Auch Hunger litt sie nicht, eher umgekehrt. Wozu dann also ausreisen? Was rät denn dein Alter, erkundigte ich mich sachlich. Elli fing an zu heulen: Der treibt mich geradezu hinter ihm her. Schon am frühen Morgen geht es los: Du dumme Gans! So eine Gelegenheit! Wenn du nicht mit Manteufel fährst, dann lass dich hier nicht mehr blicken! Verschwinde, wohin du willst! Meinetwegen auch zu deiner Hämorrhoide! Mit anderen Worten, zu mir. Ich war erbost. Und zu gleicher Zeit fühlte ich auch noch einen seltsamen Schmerz am Hinterausgang, nicht stark, eher dumpf, aber sehr unangenehm. Nichts Ähnliches hatte ich bisher erfahren. Das fehlte gerade noch! Aber es verging augenblicklich, ich atmete erleichtert auf und rief in den Hörer: Weißt du was, mach es!
Was heißt das, mach es?
Wenn er wirklich vorhat, dich rauszuschmeißen, dann pack deine Sachen und komm zu mir. Wenn es sein muss, noch heute. Brūklys hat bestimmt nichts dagegen. Na, wie ist es?
Sie zweifelte ernsthaft. Noch eine Mystikerin, noch ein Opfer eines Melodrams. Dennoch traute ich meinen Augen nicht, als Elli am Abend tatsächlich vor der Tür stand, in der Hand einen Mädchenkoffer. Gerardas bat den Gast herein. Menschen ging er nicht aus dem Weg, liebte fast alle.
Übrigens, Manteufel gab sich durchaus ritterlich. Er setzte Elli nicht unter Druck, verlangte weder von ihr ihn zu heiraten noch zusammen mit ihm auszureisen. Natürlich, wenn sie wirklich wolle – bitte sehr. Aber wenn nicht, dann nicht. Das Leben jenseits des Eisernen Vorhangs malte Robertas ebenfalls nicht in rosigen Farben. Er wusste, dass es wahnsinnig schwer sein würde, sich dort eine neue Existenz aufzubauen, er hatte diese den Juden eigene Intuition, auch Informationen. Am späten Abend kam er mit dem Taxi, brachte guten Wein und Kognak mit, und als sich die Wohnangelegenheiten geklärt hatten, zahlte er Brūklys die Miete für ein halbes Jahr im Voraus. Mir zwinkerte er aufmunternd zu: Nur keine Sorge, nach zwei Wochen wird das Fräulein zurückwollen zur Mama. Und du wirst ruhig leben, bis zur Einberufung. Das war unerbittlich gesagt, aber er hatte Recht. Überhaupt sprach er wie einer, der nicht mehr ganz von dieser unserer Welt war. Aber an jenem Abend war allen traurig zumute: der von zu Hause vertriebenen und nicht emigrieren wollenden Elli, dem demnächst Mütterchen Litauen verlassenden Manteufel. Würde man sich irgendwann wiedersehen? Er sprach leise, aber immer mit Humor. Berichtete über die Farce seines Parteiausschlusses, diese Prozedur war Grundbedingung gewesen, um ins Gelobte Land ausreisen zu dürfen. Er habe sich dagegen gewehrt: Ich werde auch in Israel Kommunist bleiben! Den Medizin-Funktionären blieb die Luft weg, aber irgendeiner informierte die zuständigen Organe, und der Spaß hatte ein Ende, man verlangte eine schriftliche Erklärung. Bei Speis und Trank – ebenfalls die Geste eines Emigranten! – gab der Doktor uns dann noch ein paar wertvolle Ratschläge. Zuallererst riet er uns, frisch und frei, nicht zu heiraten, ich nicht und Elli nicht. Und schon gar nicht der eine den anderen. Wir lachten. Waren ein wenig beschwipst. Und dennoch war es traurig. Manteufel bestellte ein Taxi, küsste Elli, drückte mir und Brūklys die Hand und fuhr davon. Vorerst nach Antakalnis. [26] Ein Vierteljahrhundert später trafen wir uns auf der Frankfurter Buchmesse und, ein Wunder, erkannten uns sofort. (Bald darauf besuchte er auch Vilnius – das Jerusalem des Nordens weckte nostalgische Gefühle.) Wir tranken Wein auf dem Frankfurter Flughafen, bis mein Zug ging, war noch ein wenig Zeit. Und wie geht’s deinen Hämorrhoiden? – fragte er plötzlich, Schelm, der er war. Lauf morgens ein wenig, riet er mir noch, trink den und den Tee, und pfeif auf alle Krankheiten.
Noch an diesem von Melancholie überschatteten Abend breitete Elli einen sauberen Bettbezug aus, den sie mitgebracht hatte, zusammen badeten wir in Brūklys’ vorsintflutlicher Wanne, dann begannen wir unser gemeinsames Leben – trist, ärmlich, ohne Lichtblicke und ohne Perspektiven. Nur am ersten Tag dieser nicht sanktionierten Ehe brachte ich ihr morgens eine Tasse Malzkaffee mit Zichorie ans Bett, dann kam das nie mehr vor. Elli hatte angefangen, in einem Krankenhaus zu arbeiten, stand um sechs auf, und wenn sie frei hatte, schlief sie
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