Mobile Röntgenstationen - Roman
bis Mittag. Manteufel hatte sich ein wenig verschätzt: Nicht nach zwei Wochen kehrte sie zurück, sondern nach beinahe drei Monaten. Aber auch später kam sie hin und wieder vorbei und blieb einige Tage. Wir gerieten uns leicht in die Haare, vertrugen uns aber auch schnell wieder. Der Grund dieser Streitereien war banal genug: ständiger Geldmangel. Trink nicht so viel Bier, lautete ihr Schlachtruf. Und wozu diese ganzen Lotionen und Cremes?! Das war der meinige. Auch hier hatte Manteufel Recht: Eine Woche oder zwei Monate sind nur ein armseliger Augenblick. Lucija traf ich nicht mehr. Ich versuchte anzurufen, es antwortete niemand. Manchmal kam es mir vor, als hätte ich sie in der Stiklu-Straße gesehen, aber vielleicht waren das nur Halluzinationen. Schlanke Frauen mit rot gefärbten Haaren sind nicht gerade eine seltene Erscheinung. Woher konnte ich wissen, dass die beiden sich schon standesamtlich registrieren und bald darauf, still und leise, auch kirchlich hatten trauen lassen. Und jetzt, nachdem sie den Tbc-Bus bekommen hatten, quasi als Hochzeitsreise, eine Expedition unternahmen, um die Lungen der Küstenbewohner zu kontrollieren?
Brūklys ließ mich manchmal für sich arbeiten. Ich war sein Gehilfe. Dafür bekam ich zu essen, auch ein Bier fiel für mich ab. Hatte ich nichts zu tun, schlenderte ich durch die Stadt, durchstreifte deren leere Kirchen, aber nicht um zu beten, sondern einfach, um in einem andersartigen Raum zu sein. Am Turm der Johanneskirche angelangt, hangelte ich mich an einem Baugerüst bis zum Dachstuhl. Die Windstöße oben brachten mich umgehend zur Besinnung. Ich fühlte mich wie eine Katze, die auf einen Baumwipfel geklettert war und nicht wusste, wie sie wieder runter kam. Unter mir die düstere, spärlich beleuchtete Vilniusser Altstadt. Und doch war es schön. Ich fühlte mich erhaben. Um mich an dem provisorischen Geländer herunterzutasten, brauchte ich eine halbe Stunde. Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich kehrte zurück in eine Bierstube unweit der Universität. An den lang gestreckten Tischen saßen stets dieselben . Ein Langer, mit grauen Haaren, strapazierte ein altes Weltmeister-Akkordeon , um mit knarrender Stimme eine alte Romanze vorzutragen:
Auf einem Seemannsgrab, da blühen keine Bluuumen!
Auf einem Seemannsgrab sind keine Blumen mehr!
So lebte ich dahin, ohne große Hoffnungen, mit blockierten Gefühlen und Bedürfnissen. Vielleicht hätte ich irgendwelche Reisen unternehmen sollen, um Abwechslung in diese öde Existenz zu bringen, aber ich wusste nur allzu gut, dass mich die Militärkommissare nicht in Ruhe lassen würden. Und dass da keine fiktiven Hämorrhoiden helfen. Nicht mal Blasenschwäche.
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Ich fürchtete die Armee nicht, ich hasste sie einfach. Es reichte, Oberst Wilenski und seine Gardisten vor Augen zu haben: Stepaškin, Sapožnikov, Kazupica und andere. Als sich die Frühjahrseinberufungen näherten, war es ein einziger Gedanke, der mich beherrschte: Wie mich da herauswinden? Andere schafften es doch, bekamen weiße Bescheinigungen ausgestellt, obwohl sie kerngesund waren. Versteht sich, ich hatte weder Geld noch einflussreiche Bekannte, und pazifistischen Einstellungen begegnete man mit schrecklicher Intoleranz. Auch gehörte ich keiner Sekte an, der es verboten war, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Aber auch solche zogen sie ein, in den großen Garnisonen fand man Platz für sie, in Schweineställen, in technischen und Versorgungseinheiten, wo man zwei Jahre lang nicht mal eine Waffe anzufassen brauchte. Hämorrhoiden? Hm, Hämorrhoiden. Jene akademischen Urlaub garantierende Krankheit hätte hier überhaupt nichts gebracht. Und meinen delikaten Ausgang den Militärs zu präsentieren, das kam gar nicht in Frage. Und nicht allein deshalb, weil die Folgen mich dann in die fernsten Einheiten verschlagen hätten, vielleicht sogar in die Mandschurei oder nach Kuška. Manteufel hätte sicher etwas ausgedacht, Darmverschlingung oder Ähnliches, aber der hockte zur Zeit in einer New Yorker Klinik, so hatte es mir zumindest Elli erzählt, die ich zufällig auf der Straße traf. Und sonst war da niemand, mit dem ich mich besprechen konnte. Als der Urlaub vorüber war, entfernte ich mich immer weiter vom akademischen Betrieb, selbst in den Lesesälen ließ ich mich selten blicken – wozu auch? Einmal blitzte da ein Gedanke auf: Vielleicht könnten Antanas und Lucija helfen? Tuberkulose wäre ein ernstes Hindernis, mich der Sovetskaja Armija
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