Mobile Röntgenstationen - Roman
von einem neuen Anfall von Weltschmerz heimgesucht wurde. Die Nächte hindurch trank ich Kaffee und verfasste versifizierte Dramen, einen Gedichtzyklus, sogar einen Sonettenkranz. Hol’s der Teufel, dachte ich, ich knalle denen einen Gedichtband auf den Tisch, etwas, was sie noch nie gelesen haben, und dann schickt mich, wohin ihr wollt, zur Armee oder meinetwegen auch ins Irrenhaus oder ins Gefängnis! Vorlesungen, versteht sich, besuchte ich keine, weder die militärischen noch die philologischen. Vorerst schien das auch keinen zu kümmern: Es war still um mich herum. Danielė hatte irgendwo eine klapprige Schreibmaschine erstanden, mit einem Finger tippte ich die eigenen Meisterwerke ab, gleich mit mehreren Durchschlägen, eine ernste, verantwortungsvolle, für einen schöpferischen Menschen angemessene Beschäftigung. Und malte mir dieses Szenario aus: Die lesen jetzt mein Buch, sind hellauf begeistert, klopfen mir auf die Schulter, beglückwünschen mich. Der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes wählt, ohne mich davon zu unterrichten, bereits die Privatnummer eines befreundeten Generals, Militärkommissariat der Litauischen SSR. Einst dienten sie doch zusammen in derselben Division, der sechzehnten! Hier Edis. Grüß dich, Pranas. Sie reden über dieses und jenes. Dann bringt Edis meinen Namen ins Spiel, erwähnt die Größe und Bedeutung eines neu entdeckten Talents. Ich bitte dich, als Freund, Pranas, lass diesen Jungen in Ruhe. Auch ohne ihn fehlt es nicht an Kanonenfutter. Er ist hier wichtig, er ist für alle wichtig. Pranas murmelt irgendwas von allgemeinen Bestimmungen, aber Edis lässt nicht locker: Ich bitte dich sehr, Pranas. Und dem bleibt in seiner Eigenschaft als Kommissar nichts anderes übrig. Er verspricht zu tun, was in seinen Kräften steht, ganz fest verspricht er es. Edis ist schließlich keiner, dem man etwas ins Blaue hinein verspricht.
So hämmerte ich auf einer alten Ukraina -Schreibmaschine mysteriöse Verse:
Stützen alte Contraforten
Eine Wolke, Wind kommt auf …
Im Fenster – der Torso einer Venus
Und der Grauschopf eines Kindes.
Danielė war fasziniert, und Brūklys wiegte den Kopf: Was soll ich da sagen, schreib! Erst viel später erfuhr ich, dass Edis, nachdem er mein Manuskript durchgeblättert hatte, diese Gedichte als Fieberträume eines Schizophrenen bezeichnet hatte und nicht für wert befand, sie im Vorstand oder in irgendeiner Sitzung auch nur zu erörtern. Aber davon bekam ich damals nichts mit. Nachdem ich die Sammlung abgeschrieben und Lichtung getauft hatte, trug ich sie zu einem Konsultanten, so einem mit Schlips und Frack. Er selbst dichtete, spielte Schach und war dafür bekannt, dass er ständig Sonnenblumenkerne knackte. Nichts Arges bekam ich nach der Lektüre zu hören. Er hatte einige unpassende Reime angestrichen, fehlerhafte Betonungen, aber das alles sei zu korrigieren, kein Grund zur Beunruhigung. Seine Worte klangen wie Sphärenmusik in meinen Ohren. Natürlich, alles zu korrigieren! Meine Ahnungslosigkeit war unermesslich: Danielė, die ich mit Kartoffeln und einem Kohlkopf in der Küche antraf, erzählte ich von meinem Erfolg, aber die, typisch Suvalkietė [28] , enttäuschte mich. Sie seufzte nur, und dann, ganz wie meine Tante: Geb’s Gott … Die Verantwortlichen beeilten sich nicht, mir war klar, dass man lange warten musste. Die Illusion, gedruckt zu werden, hielt noch eine Weile an, was mir sogar zugute kam. Jetzt schrieb ich ein Stück für das Untergrundtheater der Universität. Höllenzerberusse – hier hatte ich alle Militärs im Sinn – und nach oben strebende Geister. Orkus hatte ich es getauft. Eine modernisierte, ironisch-skeptische Variante von »Orpheus und Eurydike«. Darin, nur hätte ich es nie zugegeben, war auch von mir und Lucija die Rede. Ein junger, aber schon beleibter Regisseur las die neuen Szenen, lobte sie über alle Maßen, spornte mich an – vorwärts, wir werden diese miese Welt noch richtig durchrütteln! Auch er dachte in globalen Kategorien. Andere schrieben lieber über die Insel der Freiheit und forderten, Angela Davis aus der Haft zu entlassen. Über Kuba dichtete einer:
Fidel spaziert an Kubas Strand:
Der Bart zerzaust, die Sohlen knirschen!
Eines abends, wir hatten uns Rudzinskis Skirgaila angesehen, sagte ich leise: Danielė, Mädchen, von mir hast du nichts zu erhoffen. Ich bin ein kaputter Typ. Heute haben sie meine Lichtung überarbeitet, so gut wie nichts ist davon geblieben. Und Orkus ist
Weitere Kostenlose Bücher