Mobile Röntgenstationen - Roman
wo sich unser Sommerlager befunden hatte. Derselbe See, dasselbe Bier im Park, derselbe Staub und dieselben Gespräche. Die Überreste der niedergebrannten Bootshalle. Nicht einer der Kanuten war zu sehen, diesmal konnten die Wasservögel ruhig ihren Nachwuchs aufziehen. Kligys mit neuen Praktikantinnen, neuen Kinderscharen. Aber weder Lucija noch der merkwürdige Bus unter den Linden. Ich badete, übernachtete im Lager und suchte anderntags jenen Kurort auf, wo ich im Sommer nahe der Anlegestelle Oberstleutnant Stepaškin mit der Blondine erwischt hatte. In diesem Jahr war kaum damit zu rechnen. Ich hatte dort nichts zu erledigen, aber dann traf ich an einem Zeitungskiosk überraschend einen Studienfreund, einen, der früh geheiratet hatte, dazu ein angehender und überaus ambitionierter Poet. Vom Armeedienst war er verschont geblieben, die Frau – er selbst sagte das! – liebte er schon nicht mehr, aber Gedichte schrieb er noch immer. Im Augenblick langweilte er sich. Er strahlte, als er mich erblickte, und schleppte mich umgehend ins Haus seiner Schwiegereltern. Ich ging wohl recht in der Annahme, dass ihm an diesem warmen Tag ein Trinkgenosse fehlte. Der Frau, auch Lituanistin, hatte er alles schon gesagt, klar, den hiesigen Literaten ebenfalls. Da kam ich gerade recht, und ich ließ mich nicht lange bitten, mit Freuden nahm ich an. In einer Gartenlaube richteten wir uns ein. Nachdem seine Frau mich erblickt hatte, nickte sie nur düster mit dem Kopf, brachte dann aber Tee nach draußen, dazu Gurken und Speck. Als wir die erste Flasche Klaren entkorkten, setzte sie sich zu uns, ohne an unserem Gespräch teilzunehmen. Wir erörterten die gegenwärtige litauische Lyrik, ihre Perspektiven und Trends, alles erschien monoton, grau und flach. Der Freund brachte seinen neuen Gedichtzyklus, mit der Maschine abgetippt, ein schwer lesbarer Durchschlag. Obwohl ich darin mindestens die Einflüsse von drei Tendenzen litauischer Lyrik auszumachen glaubte, lobte ich den Zyklus, wenn auch zurückhaltend, woraufhin der Gastgeber eine zweite Flasche auf den Tisch brachte. Dann hechelten wir alle unsere literarischen Barden durch, die bekannten und selbst die, die wir nicht gelesen hatten, wobei das Augenmerk weniger dem Werk galt als der Person. Überall stellten wir Kleingeisterei fest, Egoismus, das Buhlen um einflussreiche Gönner, Epigonentum. Eine angenehme, sogar freudige Beschäftigung! Das erste Buch herauszugeben, das war damals beinahe dasselbe, wie heute den Nationalpreis in Empfang zu nehmen. Kandidaten gab es massenweise, sie wurden wieder und wieder gesiebt, bis einige von ihnen übrig blieben. Diejenigen, die man abgelehnt hatte, waren frustriert, aber, siehe da, im nächsten Jahr schickten sie wieder dieselbe Gedichtsammlung zur Begutachtung, ergänzt allenfalls durch einige Loyalität zur bestehenden Ordnung demonstrierende Strophen. Klappte es auch dann nicht, suchten sie persönliche Kontakte zu Funktionären, denn der Verlag selbst bedeutet in diesem Spiel schon nichts mehr. Der mir gegenüber saß, hatte schon seine Sammlung für den Druck vorbereitet. Die brachte er dann auch, als die zweite Pulle halb leer war, auf den Tisch. Aus reiner Höflichkeit blätterte ich darin herum, mich langweilten diese Verse. Aber dann blieb ich doch an einer Strophe hängen, von irgendeiner nicht näher benannten Revolution war dort die Rede. Das sei schwach, entfuhr es mir, zudem aus dem Kontext fallend. Oh, wie er in Wut geriet! Hätte ich mir doch auf die Zunge gebissen. Ich würde aber auch gar nichts kapieren, für wen es notwendig sei, der verstünde, welche Revolution er im Kopf habe! Die des Großen Oktober vermutlich, ich tippte auf die Textstelle, und da legte ganz unerwartet die Frau los, die bisher die ganze Zeit geschwiegen hatte. Was ich mir eigentlich einbildete?! Einzig aus Neid würde ich so reden, aus schwarzem, hämischem Neid! Ich zuckte mit den Schultern und schwieg. Wir tranken weiter, aber die gute Stimmung war verflogen, nur hin und wieder fiel ein Wort. Gott sei Dank, die beiden lagen sich bald schon gegenseitig in den Haaren, an den Grund erinnere ich mich nicht mehr, es ging um nicht gegossene Tomaten oder eine defekte Wasserpumpe. Am Ende schüttete das ungeliebte Frauchen dem Lyriker ein Glas Schnaps ins Gesicht, vermutlich war diese Dosis mir zugedacht gewesen, nur hatte sie es nicht gewagt. Er kreischte wie ein altes Weib, er würde erblinden! Unangenehm, wenn es so ist. Die Party war
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