Mobile Röntgenstationen - Roman
würde man ihr anvertrauen, in irgendeiner Sonderschule im Wald, seinerzeit gab es das noch.
Du bist ein Dummchen, sagte ich ruhig, als sie endlich verstummt war. Was für einen Unsinn redest du da. Wir leben nicht mehr in Biliūnas’ und Čechovs Zeiten. Die werden sie im Handumdrehen heilen, deine Mini-Tuberkulose, das wirst du gar nicht mitbekommen. Wenn nur … Wenn ich nur deine Krankheit hätte!
Und nirgends ließ ich sie hin. Freilich nicht aus reiner Güte. Ich hoffte, mich bei Danielė anzustecken, auf dass sich auch in meiner Lunge in absehbarer Zeit etwas finden würde, wenn schon nicht eine düstere Kaverne, dann wenigstens ein haselnussgroßer Herd, der sich dann, gehegt und gepflegt, zu einem ernst zu nehmenden Befund entwickeln würde. Ansonsten hatte Danielė Recht. Ich gedachte nicht zu heiraten, nicht nur sie nicht, überhaupt nicht. Gesunde schon gar nicht. Weder waren wir füreinander geschaffen noch lockte mich das Familienleben. Der Alltag macht eine Liebe, die keine richtige ist, kaputt. Nur sagte ich ihr nichts, wozu? Von da an trocknete ich mich absichtlich mit ihrem Handtuch ab, schmiegte mich nachts noch fester an sie, küsste sie direkt auf den Mund, befahl ihr, mir geradezu ins Gesicht zu husten, aber das tat sie nicht. Ganz einfach deshalb, weil sie kein Husten quälte. Übrigens, wäre nicht Frau Vogel gewesen, hätte in der Fakultät niemand eine Ahnung gehabt, was Danielė Starkutė widerfahren war. Ich bedauerte Danielė – nahe Freunde hatte sie niemals gehabt, und jetzt begannen auch die ferneren Freunde, ihr offensichtlich aus dem Weg zu gehen, ihre krummen oder stumpfen Nasen wegzudrehen. Ich ahnte, wie ihr zumute war, ich selbst hatte ähnliche und sehr traurige Erfahrungen machen müssen. Ich wich daher, wo ich nur konnte, keinen Schritt von ihrer Seite – anfangs wurde sie ärgerlich und jagte mich weg, vor allem zu Hause bei Brūklys (dem, klar, sagten wir nichts), aber allmählich gewöhnte sie sich, dachte auch gar nicht daran, sich zurückzuziehen oder mich in der Nacht zu meiden – eher das Gegenteil war der Fall. Wie es sich für eine richtige Schwindsüchtige geziemt, liebte mich Danielė noch heftiger und eifersüchtiger, obwohl sie nicht den geringsten Grund hatte, mir in dieser Beziehung etwas vorzuwerfen.
Als sie wieder zum Röntgen musste, war auch ich mit von der Partie, unruhig, mit klopfendem Herzen. Voll der schönsten Hoffnungen tauchte ich in das rötliche Dämmerlicht des Röntgenkabinetts. Doch leider! Auch diesmal war meine Lunge wie die Unschuld selbst. Keine Flecken. Ganz zu schweigen von Tuberkeln und Kavernen. Auch Danielė machte keine Fortschritte, ihr bohnengroßer Herd war mittlerweile auf Erbsengröße geschrumpft, die Heilungsprognose war hervorragend. Sie gesundete also und war schuld, dass ich mich nicht ansteckte. Mit düsterer Miene verließen wir die Poliklinik, sie hatte gehofft, dass man bei ihr nichts mehr finden würde, ich umgekehrt. Beide, so schien es, waren wir enttäuscht. Wir gingen ohne Eile, doch ohne ein Wort zu wechseln, jeder versunken in die eigenen Wünsche. Von der KretingaStraße bog Danielė ab zur Nikolai-Kirche. Ich folgte ihr, verbarg mich hinter einem Pfeiler und sah traurig, wie inbrünstig sie betete. Ich spürte, dass sie es auch für mich tat, aber nicht diese Gebete brauchte ich jetzt – ich brauchte von ihr tüchtige Bazillen! Ich ging nach draußen, stellte mich neben das Tor zur Sakristei und wartete. Dann kam sie, hakte sich bei mir unter, ich sah, ihre Stimmung hatte sich nach ihrer Zwiesprache mit Gott gebessert, sie hatte sich beruhigt. Und vielleicht lautete ihr Gebet auch so: Herr im Himmel, hilf, dass mein Liebster sich die Schwindsucht zuzieht und man ihn nicht zur Armee nimmt! Wohl kaum. Nein, glaube ich nicht. Nie würde sie es so können. Danielė würde den lieben Gott nicht erzürnen, auch nicht im Angesicht des Todes. Also hakte sie sich bei mir unter – was sie beinahe nie getan hatte, auch dieses Anklammern gefiel mir nicht –, und dann stießen wir nach einigen Schritten mit der Komsomolorganisatorin der Fakultät, Hrasilda Giedriūtė, zusammen, auch eine Germanistin. So eine hochgewachsene, aber gut aussehende Schwarzhaarige mit ein wenig raubvogelartigen Gesichtszügen. Wenn Hrasilda Giedriūtė auch aus Žemaičių Kalvarija [31] kam, einem geheiligten Ort, so war sie doch eine richtige Komsomolzin, keine, die nur so tat. Nicht für ihre etwas schräg stehenden Augen und nicht
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