Mobile Röntgenstationen - Roman
für ihr sarkastisches Lächeln bekam sie das Leninstipendium, sondern für ernste Verdienste, tief greifende Tätigkeit und hervorragende Studienerfolge. Nur mochte sie fast niemand, selbst ihr gesinnungsmäßig nahe stehende Kollegen gingen ihr aus dem Weg. In den Augen der Administration und des ZK des Litauischen Komsomol war auch das ein klares Plus. Man hasste und fürchtete sie, also passte sich Hrasilda niemandem an, war prinzipienfest. Ich habe überhaupt nicht vor, diese Hrasilda hier irgendwie herabzusetzen, auf gar keinen Fall! Hrasė war wirklich begabt, und sie war ein böses Mädchen. Na, äußerlich sah sie keiner Brockenhexe ähnlich, sie konnte am lautesten lachen, aber sie konnte auch schärfer und zielsicherer als andere spotten. Allzu scharf meistens. Manchem fröstelte ein wenig bei ihren Späßen. Und jetzt waren wir beinahe aufeinander geprallt. Sie hatte uns aus dem Tor der Sakristei kommen sehen, sie sah alle s! Hrasilda Giedriūtė wusste natürlich ebenfalls, dass ihre Kommilitonin im vierten Studienjahr unter Tuberkuloseverdacht stand, in ihrer Lunge ein Herd entdeckt worden war. Na, mit Politik konnte man hier nicht kommen. Außerdem war sie nicht im Jugendverband. Na und? Auch so hatte man sich nicht im Schatten der Altäre [32] herumzudrücken. Auch für nicht organisierte Jugendliche war dort kein Platz. Selbst für damalige Verhältnisse war Hrasilda ein seltener Vogel. Nicht nur eine Karrieristin, sondern obendrein tief gläubig. Nur glaubte sie nicht an den lieben Gott, sondern an die Sowjetordnung, den Staat, an Parteibeschlüsse und Ähnliches. Jetzt, nachdem sie uns ertappt hatte, grinste sie breit:
Servus, Kollegen! Na? Hat der liebe Gott geholfen?
Es war klar, was sie im Sinn hatte. Ich setzte schon zu einer scharfen Erwiderung an, was konnte die mir, aber Danielė zog mich heftig am Ärmel – mach hier keine Dummheiten! Und Hrasilda:
Ich kann natürlich behaupten, ich hätte nichts gesehen. Aber kann ich wissen, ob euch noch irgendein anderer gesehen hat? Klar, dass ich das nicht kann. Na, ich wünsche euch noch einen schönen Tag!
Und stöckelte davon, mit weit ausholenden Schritten. Ständig eilte sie irgendwohin, sei es in eine Prüfung, in eine Beratung, in ein Büro oder in eine Bibliothek. Das Komsomolabzeichen hatte sie sich sogar an den Mantelkragen geheftet. Sollten alle sehen und wissen, mit wem sie es zu tun hatten und dass ihr Kampfgeist echt war.
Hrasilda musste allerdings klar sein: Weil Danielė kein Komsomolmitglied war, konnte ihr Fall, rein formell, nicht mal in einer offenen Komsomolversammlung erörtert werden. Aber auch wenn Hrasilda das gewusst hätte, hätte es ihr gar nichts ausgemacht: Man hatte es hier mit einem Verhalten zu tun, das unvereinbar war mit dem Namen eines sowjetischen Studenten! Gewiss, Danielė brauchte keine Erklärungen zu schreiben, keine Buße zu tun, sich nicht an die Brust mit dem Tuberkuloseherd zu schlagen, weswegen sie beinahe zu einer Unberührbaren geworden war. Wie in Indien. Nur hatten sich, im Gegensatz zu den dortigen Unberührbaren, ihre Rechte gewaltig ausgeweitet. Selbst wenn Giedriūtė sie offen zum Teufel gewünscht hätte, es wäre ihr nichts passiert. So etwa sagte ich das auch meiner traurigen Lebensgefährtin. Ihre Stimmung hellte sich sogar ein wenig auf, und ich kaufte eine Flasche Cahors, ein sowohl für Schwindsüchtige wie für geschwächte Kranke erlösender Wein. Und dann, kaum hatte ich die Haustür geöffnet, drückte mir Brūklys eine Povestka [33] in die Hand! Es war so weit. Die Militärs befahlen mir, dann und dann bei ihrer Medizinischen Kommission vorstellig zu werden. Eine Anmerkung in kleiner Schrift erklärte, was mich erwartete, sollte ich dieser Aufforderung nicht Folge leisten. Brūklys schien irgendwie sogar befriedigt zu sein. Vielleicht meinte er, dass es nicht so richtig lief mit uns? Kaum. Aber wer kann es wissen!
7
Typisch für die Tuberkulose ist ein Auf und Ab des klinischen Prozesses: Diese Krankheit klingt zuweilen ab, um dann nach einiger Zeit – es können Wochen oder Monate sein – erneut in ein akutes Stadium zu treten. Der Kranke beginnt zu fiebern, zu husten, zuweilen Blut zu spucken – das heißt, dass die Bakterien in der Lunge eine Ader zerstört haben. Später, nachdem alles wieder abgeklungen ist, hält sich der Patient selbst für gesund und arbeitsfähig, vernachlässigt die Einnahme der Medikamente, geht nicht mehr zum Arzt. Darin ist die Tuberkulose
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