Mobile Röntgenstationen - Roman
doch keiner, klopft an die Tür und sagt: Nimm’s nicht übel, diesmal hab ich ein wenig übertrieben! Auch weiß man nie, wann man selbst mit diesem Scherz seine Mitmenschen erschreckt, daher fürchte ich mich, etwas über andere zu sagen, ohne in deren neues Fell geschlüpft zu sein.
An einem Sommerabend fuhr ein sehr berühmter Regisseur mit eigenem Auto bei mir vor, den Kopf kahl geschoren, dennoch hatte er wenig von einem Banditen. Einmetersechsundneunzig, mit dem Blick eines müden Falken, es gibt auch solche. Er zog an seiner Zigarette, schlürfte Kaffee, um dann gleich zur Sache zu kommen: Wir machen einen Film . Sie machen immer irgendwas, anders können sie gar nicht mehr. Das Theater, so bekam ich zu hören, habe ihm schon allen Saft aus den Adern gezogen, eine Bluttransfusion sei nötig. Er drückte sich einfacher aus, ich übertreibe jetzt. Ich hörte mir alles an und wusste: Da kommt was auf dich zu. Aber ich nickte nur mit dem Kopf: klar, natürlich, worüber, wann? Auf Ruhm war der Kahlköpfige nicht aus, er war berühmt genug, obendrein einer, der geradezu zur Kunst verurteilt war und darüber nicht gern sprach. Wir waren miteinander noch aus jenen Nullzyklus -Jahren bekannt, als der heutige Genius in einer Armeejacke – himbeerfarbene Streifen! – in der Altstadt Kabelgräben aushob und manchmal hungrig in der Werkstatt eines Restaurators auftauchte, wo es einen Löffel Grütze oder eine heiße Wurst mit Senf für ihn gab. Damals war er noch dürrer als jetzt. Und auch schon nicht sehr gesprächig. Übrigens dauerte das nicht lange. Als er den für ihn unpassenden Dienst beendet hatte, bekam er seine eigene Theatertruppe und wurde mit jedem Jahr berühmter, bis er es so weit gebracht hatte, dass alle potenziellen Konkurrenten begriffen: Da ist nichts zu machen, den holt man doch nicht ein. Besser war es, gemächlich die eigene Furche zu ziehen und in Zeitungen mit sympathischen Theaterkritikerinnen zu disputieren.
Einen Film will ich machen, brachte der Kahlköpfige ruhig zwischen seinen Zahnbrücken hervor. Goldzähne hatte er noch keine, wenigstens vorne. – Und weißt du was? Wir setzen uns ins Auto und fahren los. Jetzt gleich.
Wohin? Es war natürlich, sich danach zu erkundigen, obwohl es mir egal war.
Am Friedhof von Rasai vorbei bogen wir in die Schwarze Straße ein. Seit langem wusste ich es: Sie, die Schwarze, führt bis Veliučionai, wo sich ein Gefängnis für minderjährige Kriminelle befindet, natürlich nannte es sich anders. Ein Vetter von mir, Boxer und Nihilist, hatte dort irgendwann einmal Physik unterrichtet. Diese Hundesöhne fürchten mich, den Sportlehrer und sonst niemanden, pflegte er zu sagen. Aber wir bogen in die andere Richtung ab. Freudenstraße. Hier freuten sich Bäume, Büsche, die neuen und nicht mehr neuen Mauern, öffneten sich eindrucksvolle Ausblicke in ein weites Tal, dahinter rotes Gestein, die berühmte Senke. Dann schon andere Wälder, finstere, dunkelgrüne und sogar blau schimmernde. Vor fünfzehn Jahren war ich täglich durch die Freudenstraße ins Psychoneurologische Krankenhaus gefahren, hatte es geschafft, dort als Hilfspfleger unterzukommen. Nach mir entließen sie einen berühmten Theaterkritiker, der dort auch vorübergehend tätig war und selbst ein kleines Stück aufführte, in dem sowohl das Personal als auch die Patienten mitspielten. Nun lächelte ich: So verbunden ist mein Leben mit dem Theater! Als Pfleger hielt ich es dort nicht lange aus, die Ärzte und Schwestern jagten mir weit mehr Angst ein als ihre Patienten. Einige Monate fuhr ich mit dem Vierunddreißiger Bus hier durch und dachte jedes Mal: Gleich werde ich in die Straße der Hoffnungslosigkeit gelangen, das Territorium der absoluten und relativen Idiotie betreten. Es galt, die Mühseligen und Beladenen zu beruhigen, denen, die sich nicht aus dem Bett erheben konnten, Essen zu bringen, und nachmittags diejenigen, in denen noch ein Funke eines seltsamen, uns unzugänglichen Verstandes glomm, in einen vergitterten Hof zum Ausgang zu führen.
Freudenstraße, sagte ich laut und lächelte süßsauer.
Was quasselst du da? Der Genius drehte sich zu mir um, und ich dachte plötzlich: Vielleicht könnte sein Film von Verrückten handeln? Von anderen Verrückten natürlich, nicht unbedingt von denen in Zwangsjacken und mit gespaltener Zunge. Doch lieber nicht, davon gibt es zu viele, alle wird man nicht erfassen, nicht mal in einem Monumentalfilm.
In die Stadt zurück nahmen wir
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