Mobile
auf dem Boden gerobbt wie ein dämlicher Soldat, das würde ich dem Spinner auch noch zutrauen. Die Zimmertür kann ich von meinem Bett aus ja nicht sehen, und wenn der Bekloppte es bis zur Tür geschafft hat, ist er raus, ohne dass ich es bemerkt habe.«
Im Gesicht der Krankenschwester tauchten weiße Flecken auf. Ihr Blick flackerte hektisch. Rasch sah sie in den beiden Kleiderspinten nach, doch dort war der Junge nicht. Dann warf sie einen schnellen Blick unter das Bett, aber auch dort hatte er sich nicht versteckt. Auch in dem kleinen Badezimmer war er nicht. Sie strich Jorge über den Kopf, lächelte ihn nervös an und sagte: »Wir werden ihn schon finden, er spielt uns bloß einen Streich. Hör zu, Jorge: Wenn jemand kommt und nach Cristóbal fragt, sagst du, er sei zu Untersuchungen beim Arzt.«
»Kann ich machen.«
»Nein, das kannst du nicht machen, das wirst du tun. Du sagst, Cristóbal sei zu Untersuchungen. Hast du mich verstanden? Egal, wer fragt! Und wenn es Valencias Erzbischof höchstpersönlich ist.«
Jorge grinste. Den Erzbischof anschwindeln - der Gedanke gefiel ihm.
»I ch verlasse mich auf dich, Jorge. Das kann ich doch, oder?«
Sie streckte die Hand aus. Der Junge nickte und schlug ein.
»Das hier bleibt unter uns«, sagte sie mit Nachdruck und hartem Blick.
Er nickte eilig. Sie lächelte flüchtig, dann verließ sie das Zimmer.
Jorge sah noch einmal zu Cristóbals Bett rüber. Irgendetwas passte nicht. Sein Blick wurde angestrengter. Er überlegte kurz, dann hatte er auch schon die Antwort: Der Stoffhase. Cristóbal hatte das hässliche Stoffvieh nie aus der Hand gelegt, es immer wieder an seine Brust gedrückt wie ein zweites Herz. Und nun war Cristóbal fort - und er hatte den Stoffhasen zurückgelassen. Das passte nicht zusammen, und zwar ganz und gar nicht. So, wie Cristóbal si ch mit dem Stoffhasen gehabt hatte, hätte er das Zimmer nicht ohne ihn verlassen. Wenn also Cristóbal das Zimmer nicht verlassen hatte, musste er noch hier sein.
»Cristóbal?«, fragte Jorge in den Raum hinein, und ein beklemmendes Gefühl des Unheimlichen befiel ihn.
Keine Antwort.
Nervös blickte Jorge an die Zimmerdecke, damit rechnend, dass Cristóbal dort klebte wie Spiderman - doch das tat er nicht. Natürlich nicht. Jorge atmete erleichtert durch. Nein, sagte er sich, der kleine Vollidiot zog gerade die totale Verarschung durch und sorgte für mächtig Stimmung im Universitätskrankenhaus, währ end er sich vermutlich in einem nicht abgeschlossenen Materialraum oder Mitarbeiterumkleideraum versteckt hielt und sich schwer einen feixte. Irgendwie war das schon cool, auch wenn der Zwerg zweifelsohne nicht richtig tickte. Und das mit dem heißgeliebten Stoffhasen war wohl doch nichts weiter gewesen als eine Show, allerdings eine sehr gelungene. Schmunzelnd drückte Jorge sich die Kopfhörer wieder in die Ohren. Und dennoch: Die zweifelnde Unruhe blieb.
Der zurückgelassene Stoffhase.
Nein, das war nicht stimmig.
Allerdings: Cristóbal tickte nicht richtig.
Richtig, aber: Die Nähe, diese tiefe Verbindung von Cristóbal zu dem Stoffhasen ließ sich so brillant nicht spielen. Nicht von einem Zwerg wie Cristóbal. Nicht von jemand anders. Von niemanden.
Erneut warf Jorge einen Blick auf Cristóbals Bett. Dieser Stoffhase, der in den vergangenen Tagen so viele von Cristóbals vergossenen Tränen aufgenommen hatte - und dessen dunkelbraunen Glasaugen nun ihn anstarrten. Ihn fixierten. Ihn auffressen wollten.
Voller Unbehagen stand Jorge auf. Mit langem Arm griff nach einer Ecke der Bettdecke auf Cristóbals Bett und zog sie über den Stoffhasen.
Besser, viel besser. Jorge kroch in sein Bett zurück. Er drehte die Lautstärke seines MP3-Player ganz nach oben und starrte vor sich hin. Obgleich ihn dieser Schreihals von Cristóbal einfach nur genervt und wütend gemacht hatte, so sehr wünschte er sich nun, der kleine Junge würde an der Hand einer grimmig, aber zugleich erleichtert dreinblickenden Krankenschwester ins Zimmer zurückkehren.
Aber das würde nicht geschehen, davon war Jorge überzeugt. Irgendetwas war geschehen, das sich nicht erklären ließ. Cristóbal war fort - und würde für fort bleiben.
Für immer.
Ganz sicher.
*
»Du musst mir einen Gefallen tun«, sagte Joachim. Obwohl er allein in dem Zimmer war, sprach er leise.
»Du klingst ja zieml ich geheimnisvoll«, sagte Dirk.
»Ich weiß, ich verlange eine Menge von dir, aber du bist so etwas wie meine letzte
Weitere Kostenlose Bücher