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mache mich langsam auf in Richtung nach Hause.«
Sie beendeten das Gespräch. Joachim suchte weiter. Auch die nächsten Seitenaufrufe brachten ihn nich t weiter. Es war allmählich zum Durchdrehen. Joachim stand auf und trat an das Fenster, sah hinunter in den begrünten Hinterhof.
Leben sie überhaupt noch? Michael und seine Eltern - waren sie womöglich alle bereits tot? Was, wenn er nach Menschen suchte, die er gar nicht mehr finden konnte?
Joachim setzte sich wieder. In die Suchmaschine gab er ein: Michael Mechthild Werner Wohlert Todesanzeige Traueranzeige . Er verspürte ein leichtes Unwohlsein.
Als erster Treffer wurde eine Seite mit Trauer- und Todesanzeigen aus ganz Deutschland angezeigt. Er öffnete sie. In das Suchfeld gab er Michaels Namen ein.
Nichts.
Joachim atmete erleichtert durch.
Er gab Mechthilds Namen ein.
Zwei Traueranzeigen. Joachim öffnete sie nicht, denn bereits die im Kurztext hinterlegten Geburtsdaten der beiden Frauen passten nicht. Die Jahre 1957 und 1961 waren zu spät.
Werners Namen.
Siebzehn Traueranzeigen.
Joachim überflog in den Kurztexten die Geburtsdaten der Verstorbenen. Vier konnten passen, alle zwischen den Jahren 1930 und 1945. Die jüngste Todesanzeige war in einer großen Frankfurter Tageszeitung erschienen. Gespannt öffnete Joachim die Anzeige.
Es war der Nachruf des Vorstands, des Betriebsrats und der Belegschaft eines namhaften Kreditinstituts. Der langjährige Mitarbeiter und spätere Prokurist Werner Wohlert war vor rund zwei Jahren im Alter von 74 Jahren verstorben. Es wurde an seine Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und sein Pflichtgefühl erinnert, man werde ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren - das Übliche.
Er war es. Michaels Vater. Joachim war ziemlich sicher. Er lehnte sich im Stuhl zurück. Keine Traueranschrift. Die Anzeige brachte ihn also nicht viel weiter. Er drehte sich im Kreis, kam nicht voran. Er hatte gehofft, es alleine zu schaffen, doch es klappte nicht. Nun blieb ihm nur noch eine Möglichkeit.
»Scheiße«, murmelte er und r ieb sich die Augen.
*
Im Krankenhaus Hospital Universitari La Fe von Valencia hatte die Aufregung vom Personal der Kinderstation bereits auf das der anderen Stationen übergegriffen. Nun galt es, dass die Patienten und ihre Angehörigen vorerst nichts von der Angelegenheit erfuhren. Und natürlich durften die Medien keinen Wind davon bekommen, zumindest nicht bis auf weiteres. Einige Zivilbeamte waren eingetroffen und nahmen unauffällig ihre Arbeit auf. Alle Eingeweihten waren sich darüber im Klaren, dass sich die Sache höchstens eine handvoll Stunden verheimlichen lassen würde. Diese Zeit galt es zu nutzen.
Der fünfjährige Cristóbal war verschwunden. Zwei Tage zuvor war er auf der Station aufgenommen worden, völlig verängstigt wirkend, matt und wie unter Krämpfen leidend, immer wieder hysterisch schreiend, doch man hatte bislang nicht feststellen können, was ihm fehlte. Weitere Untersuchungen standen bevor. Am späten Vormittag hatte die Schwester das Zweibettzimmer betreten, um nach ihm und seinem dreizehnjährigen Zimmernachbarn Jorge zu sehen, doch in Cristóbals zerwühltem und durchgesch witztem Bett saß nur noch sein abgestoßener grauweißer Stoffhase. Die Krankenschwester hatte Jorge am Arm angefasst, und der Junge hatte die In-Ear-Kopfhörer aus den Ohren gezogen, die in seinen MP3-Player gestöpselt waren.
»Wo ist Cristóbal?«, fragte sie ihn.
Jorge sah zu dem verlassenen Bett. »Keine Ahnung«, sagte er verwundert. »Eben war er noch da.«
»Wann eben ?«
»Na, erst eben. Ich war zur Toilette , und als ich zurück kam, war er noch da. Ich weiß es genau, denn er lag regungslos auf der Seite und hat mich aus großen Augen angestarrt. Ich habe ihn gefragt, ob alles klar sei, und da hatte er die Augen noch weiter aufgerissen und den Mund bewegt, ohne was zu sagen. Das war mir zu blöd und ich habe mich wieder ins Bett gelegt und weiter Musik gehört. So ein Idiot, der Typ.«
»Hattest du seitdem die Augen geschlossen, Jorge? Bist du vielleicht eingeschlafen, wenn auch nur kurz?«
»Nein, ich habe Musik gehört und vor mich hingesehen. Der Song, der gerade läuft, begann, als ich nach dem Pinkeln wieder Musik hörte, und das ist ...« - er sah rasch aufs Display - »... der Song läuft erst seit fast drei Minuten.«
»Du hast nicht mitbekommen, dass Cristóbal das Zimmer verlassen hat?«
»Nein. Entweder hat der Psycho sich in seinem Kleiderspint versteckt oder ist
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