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Schreie folgten, die schnell in Dauergebrüll übergingen.
Niklas blickte seine Mutter an und fragte: »Wie lange dauert das noch?«
Sie sah ihn irritiert an. »Was meinst du?«
»Das mit Daniel. Sein ewiges Geschrei. Es geht mir voll auf den Geist. Wie lange geht das noch so?«
Nervös blickte Carola Richtung Kinderzimmer und sagte: »Ich weiß es nicht, mein Schatz, ich habe keine Ahnung.«
»Seitdem Daniel da ist, ist es hier nicht mehr so schön wie früher. Ohne ihn war alles viel besser. Er nervt absolut.«
»Sag so etwas nicht, Nicki.« Carola streichelte ihrem Sohn erneut über den Kopf.
»Ist aber so. Ich habe keinen Bock mehr auf Daniel, echt nicht. Es wäre toll, wenn er nicht mehr hier wäre.«
Carola schoss die Röte ins Gesicht. Sie stand auf und schrie ihren Sohn an: »Hör auf damit, Niklas Netzner, hör auf und halt die Klappe. Wenn du so etwas noch ein einziges Mal sagst, scheppert es. Hast du mich verstanden?«
Der Junge starrte schweigend auf seinen Teller.
»Ob das klar ist, habe ich gefragt?« Carola schrie jetzt zwar nicht mehr, aber ihre Stimme war eisig.
Niklas nickte, ohne aufzusehen. Mittlerweile hatte sich sein kleiner Bruder in einen regelrechten Rausch geschrien.
»Verdammt!«, stieß Carola wütend hervor. »Dies hier ist die reinste Irrenanstalt, nur Irre!« Sie drehte sich um und verließ die Küche, um in Daniels Zimmer zu gehen.
Niklas schob den vor ihm stehenden Teller vom Tisch. Er zersprang auf den Fliesen und die Nudeln verteilten sich gleichmäßig über den Küchenfußboden.
*
Joachim parkte den Wagen in einer Seitenstraße vor einem rotgeklinkert en Wohnhaus mit vier Etagen. Eine durchschnittliche Wohngegend. Hier also wohnte Michael.
Joachim stieg aus. Seine bereits große Nervosität wuchs weiter an. Er ging zur Eingangstür. Je weils drei Wohnungen im Parterre und in den drei Obergeschossen. M.W. stand auf einem Schild der Klingelanlage. Erstes Obergeschoss, mittlere Wohnung.
Joachim klingelte. Trotz der sommerlichen Temperaturen waren seine Hände kalt. Er rieb sie aneinander. Das Summen des Türöffners ertönte. Joachim drückte geg en die Hauseingangstür. Er stieg die Treppen hoch und nahm sich vor, mit allem zu rechnen und sich - was auch immer ihn erwartete - keine Verwunderung anmerken zu lassen.
In der Tür stand ein schlanker, etwa einen Meter fünfundachtzig großer Mann. Er trug ein kurzärmeliges blaues Hemd und eine Jeans. Sein volles, braunes Haar war angegraut. Die Augen waren wachsam und auf der Stirn standen jene tiefen Falten, die nur schwere Sorgen zu schlagen vermögen. Zigarettenqualm drang aus der Wohnung in den Hausflur. Alter und kalter, neuer und warmer Qualm.
»Michi?«
»Hallo Jo. Siehst gut aus. Fit.«
Joachim streckte lächelnd die Hand aus. »Es ist schön, dich zu sehen.«
Michael schlug ohne Druck ein, dann trat er zur Seite. »Komm rein. Es ist allerdings nicht sonderlich aufgeräumt, dazu hatte ich keine Lust.«
»Alles gut, Michi, kein Problem.«
»Ich hatte vorhin angefangen, mich zu betrinken. Dann kam dein Anruf und ich bin vorübergehend auf Bleifrei umgestiegen, damit ich nicht völlig betrunken bin, wenn du kommst. Nett, oder?«
Joachim guckte verwundert.
»Was kann ich dir anbieten?«
»Nichts, danke.«
»Ein Bier?«
»Nein danke, wirklich nichts.«
»I ch hole mir eins, dann reden wir.«
Michael verschwand in der Küche, um gleich darauf mit einer Dose Bier zurück zu kehren.
»Mir nach«, sagte er und ging ins Wohnzimmer. Joachim folgte ihm.
Ein Sofa, ein Sessel, ein Tisch mit überquillenden Aschenbecher, eine Kommode, auf der ein in die Jahre gekommener Röhrenfernseher stand, sowie ein gerahmter Druck von Andy Warhols berühmten Marilyn Diptych an der Wand - viel mehr Einrichtungsgegenstände gab es nicht.
Michael bot Joachim das Sofa an und setzte sich in den Sessel. »Also lass hören«, sagte er und schlug die Beine übereinander. Er griff in die Brusttasche seines Hemdes und holte ein Softpack Lucky Strikes hervor, fingerte eine leicht krumme Zigarette heraus und schob sie sich in den Mundwinkel. Er zündete die Zigarette an und inhalierte tief.
Joachim musterte ihn.
»Was ist los, hast du deine Stimme verloren?«, fragte Michael mit der Zigarette zwischen den Lippen. Er öffnete die Dose.
Joachim lächelte verlegen. »Erzähl kurz von dir, Michi, ich weiß gar nichts über dich. Wie sieht es bei dir aus?«
Michael trank einen Schluck, dann sagte er: »Alleinstehend, pleite
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