Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mobile

Mobile

Titel: Mobile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Richter
Vom Netzwerk:
gegangen mit dem Vertrieb von Sportswear und Fitnessgeräten, jetzt nichtwissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Münster im Bürodienst, ein Scheißjob. Punkt. Kommen wir zu dir. Du bist hier, um über etwas zu sprechen. Also?«
    Joachim knetete die Hände. »Tja, wie soll ich anfangen?«
    Michael zog kräftig an der Zigarette. »Du hattest auf der Fahrt hierher genug Zeit, dir das zu überlegen. Vielleicht doch lieber ein Bier, zum Lockerwerden?«
    Joachim schüttelte den Kopf. Er räusperte sich und sagte: »Du wirst mich vermutlich für einen kompletten Spinner halten. Es ist völlig abgedreht, worüber ich mit dir sprechen möchte. Du wirst denken, dass ich dir irgendeine abgedrehte Geschichte auftischen will, um dich für dumm zu verkaufen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du herkommst, um mir nach dreißi g Jahren der Funkstille einen vom Pferd erzählen zu wollen. Also, was ist jetzt?«
    Joachim rieb sich nervös das Kinn, dann gab er sich einen Ruck und fragte: »Erinnerst du dich daran, als wir damals in diesem Geschäft waren, in das gerade zuvor eingebrochen worden war?«
    »Klar «, sagte Michael knapp. Er zog an der Zigarette und sah Joachim fest an.
    »Also: I ch bin hier, weil ich glaube, dass das, was nicht stimmt, irgendwie mit damals zu tun hat. Wie ich dir bereits am Telefon erzählt habe, ist meine Mutter vor kurzem gestorben. Ich habe das Haus aufgelöst und dabei etwas wiedergefunden, was wir beide damals aus dem Geschäft entwendet haben. Ich habe zwei Söhne. Daniel, der jüngere, ist jetzt rund ein Jahr alt. Ich habe einen Gegenstand von denen, die wir damals mitgenommen haben, über sein Kinderbett gehängt.«
    »Das Mobile«, s agte Michael gelassen.
    Joachim sah Michael staunend an. »Du weißt es? Du erinnerst dich an das Mobile?«
    » Ja. Aber erzähl weiter!«
    Joachim brauchte eine Sekund e, um sich wieder zu sammeln. »Gut, also wie gesagt: Ich habe das Mobile mit nach Hause genommen und über Daniels Kinderbett gehängt. Seitdem das Mobile dort hängt, ist Daniel immer unruhiger geworden. Er hat Albträume, schreit viel, ist geradezu hysterisch. Meine Frau und ich wussten nicht weiter, haben uns Sorgen gemacht und ihn im Krankenhaus auf den Kopf stellen lassen, aber man hat nichts gefunden. Es wurde immer schlimmer mit Daniel, doch wir haben uns gesagt, dass es irgendwann auch wieder vorbei sein wird. Gestern habe ich dann etwas entdeckt, was mich umgehauen hat. Halt, falsch, ich hatte eigentlich schon vor zwei Wochen etwas entdeckt, aber ich habe es nicht weiter beachtet, mir nichts dabei gedacht. Erst gestern wurde es mir klar.«
    Michael trank einen Schluck Bier. Er ließ Joachim nicht aus den Augen.
    »Eine der Figuren verändert sich«, hörte sich Joachim sagen. Die Worte waren einfach so aus ihm herausgepurzelt. »Sie verliert ihre Farben, mit der sie bemalt worden ist.«
    Michael neigte den Kopf und musterte Joachim aus zusammengekniffenen Augen.
    »Es ist alles weg«, sagte Joachim. »Das aufgem alte Gesicht der Holzfigur ... die Augen, die Nase und der Mund - alles ist verschwunden. Weg, aufgelöst. Ich habe versucht, das Mobile abzuhängen, aber es ging nicht, du hättest Daniel erleben sollen. Er hat geschrien, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken, es war schlimm, ich dachte, er stirbt vor Panik. Also habe ich das Mobile wieder aufgehängt. Abends hat meine Frau das Mobile auch noch mal abgenommen, und es war wie beim ersten Mal, Daniel schrie sich in Rage. Ich weiß, es klingt absurd, aber es scheint eine Verbindung zwischen meinem Sohn und diesem Mobile zu bestehen. Ich bin überzeugt, dass es zwischen dem Verblassen der Farben und Daniels Zustand einen Zusammenhang gibt - auch wenn mir nicht klar ist, welchen. Auf jeden Fall ist es kein guter Zusammenhang, soviel steht fest.«
    Michael legte die Zigarette in den Aschenbecher, setzte die Dose an und leerte sie mit einigen tiefen Zügen. Er unterdrückte ein Rülpsen und stand auf, schob die Hände in die Hosentaschen und sagte: »Jo, mein alter Spielkamerad. Ich sah dich vor einigen Minuten die Treppen zu meiner Wohnung hochsteigen und dachte so bei mir: Mensch, da kommt Joachim Netzner. Einzelkind, solides Elternhaus, anständige Kindheit. Früher war Jo ein etwas dicklicher Junge mit Pausbacken und angeklatschtem Seitenscheitel, Typ Peter Leckarsch, aber er war trotzdem mein bester Freund. Heute sieht Joachim gut aus. Schlank und sportlich, und ich halte jede Wette, dass er täglich ängstlich seine

Weitere Kostenlose Bücher