Mobile
schwarzen Haare nach grauen Strähnen absucht. Er ist verheiratet, hat eine Frau, die ihm zwei Sonnenscheine schenkte, vermutlich hat er einen guten Job. Joachims Leben ist auf Stabilität und Sicherheit ausgerichtet, auf die Sicherung des kleinen Glücks für sich und seine Lieben. Aber dann, eines Tages, ojemine, geschieht in Joachims Leben etwas Unvorsehbares. Eine dunkle Welt öffnet sich - eine dieser Welten, die er all die Zeit lang möglichst weit von sich und seinen Lieben ferngehalten hatte. Eine Welt der kalten Angst, vielleicht sogar des Hasses und möglicherweise des Todes. Joachim kann das Unheil dieser Welt riechen, doch er findet sich in ihrer Dunkelheit nicht zurecht. Er fragt sich: Was hat das einst gestohlene Mobile mit meinem kleinen Sohn vor? Mit diesem kleinen, unschuldigen Kind? Was geschieht hier? Verliere ich das Kind? Viele Fragen kreisen in Joachims Kopf, es sind immer dieselben Fragen, doch er findet keine Antworten. Er findet sie deshalb nicht, weil in der dunklen Welt Regeln herrschen, die er erstens nicht kennt und die zweitens außerhalb seiner Vorstellungskraft liegen. Was also tun? In seiner Verzweiflung kramt Joachim seinen früheren Freund Michael Wohlert aus, von ihm Michi genannt. Auch Michael stammt aus gutem Elternhaus, allerdings ist er kein Einzelkind, es gibt einen Bruder. Doch eines Tages geschieht etwas, das Michaels Leben völlig verändert. Sie zieht fort, Michaels Familie, und Michael und Joachim verlieren sich aus den Augen, wie das halt so ist, und möglicherweise hätte Joachim nie wieder an Michael gedacht, wenn die Dinge wie geplant schön geordnet weiterverlaufen wären. Vielleicht, so hofft Joachim, weiß Michael etwas oder hat zumindest eine Idee, könnte ja sein, also wird Michael aus der kalten Erde der Vergessenheit ausgegraben.« Michael lächelte Joachim an, doch seine Augen blieben ernst.
Joachim hielt dem Blick nur mit Mühe stand.
»Beschreibe mir deine Angst, Jo.«
»Was soll ich?«
»Mir deine Angst beschreiben. Wie fühlt sie sich an?«
Joachim zuckte wortsuchend mit den Schultern. »Es ist ... heftig.«
»Nein, e s ist mehr als das. In dir tobt die Urangst. Diese schneidende Angst, das eigene geliebte Kind zu verlieren und dem Verlust machtlos gegenüber zu stehen. In deinem Tagträumen siehst du Höllenbilder, und du kannst diese Bilder kaum ertragen, aber sie lassen sich nicht vertreiben.«
Joachim nickte matt. Er fühlte sich leer.
»Und willst du wissen, was ich denke? Ich denke, dass du deinen Sohn tatsächlich verlieren wirst. Der Junge wird sterben, und du wirst es vermutlich nicht verhindern können. Das Mobile holt sich deinen Sohn.«
Joachim starrte Michael an. Michael hatte gerade soeben genau das gesagt, was ihm während der vergangenen Stunden unentwegt durch den Kopf gegangen war, er sich jedoch nicht auszusprechen getraut hatte.
»Ja, Jo, genauso sehe ich die Sache.«
Joachim war außerstande, etwas zu entgegnen.
Michael zündete sich die nächste Zigarette an und sagte, während er den ersten Zug ausstieß: »Ich hole mir noch ein Bier. Ich bringe dir eins mit, du siehst aus, als könntest du spätestens jetzt eins vertragen.«
Michael verließ das Zimmer. Joachim legte den Kopf in den Nacken und rieb sich das Gesicht. Sein Kopf dröhnte. Er konnte keinen klaren Gedanken fass en, fühlte sich wie ausgepresst. Restlos leer.
»Hier«, sagte Michael und drückte die kalte Dose gegen Joachims Hals.
Joachim fuhr zusammen. Er nahm Michael die Dose ab. »Woher ... wusstest du vorhin von dem Mobile? Du hattest dich sofort wieder daran erinnert.«
Michael öffnete die Dose. »Weil ich es damals haben wollte«, sagte er und trank einen Schluck.
»Wie bitte?«
Michael trank einen weiteren Schluck. »Ich wollte es damals haben. Wir hatten uns deswegen sogar kurz ein wenig in die Haare bekommen.«
»Wirklich? Das weiß ich gar nicht mehr.«
»Aber ich. Soll ich deine Erinnerung auf Vordermann bringen?«
Nun öffnete auch Joachim seine Dose. Dann nickte er schwach.
*
Die beiden Jungs saßen im Schneidersitz auf Michaels schmalem Bett und tranken Limonade. Der Rucksack lag auf dem Fußboden.
»Was machen wir denn jetzt mit dem ganzen Krempel?«, fragte Michael.
»Weiß nicht«, sagte Joachim achselzuckend.
»Kann ich den Rucksack haben oder willst du ihn? Nur den Rucksack, meine ich. Der ist von der Armee, da klebt das Blut toter Soldaten dran.«
Eine furchtbare Vorstellung. Joachim schauderte. »Nee, nimm
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