Mode ist ein glitzernder Goldfisch
Vögel oder Schmetterlinge, gehüllt in Grün-, Blau- und Rottöne und Glitzern und Federn. Es ist weniger Mode als⦠bunt schimmerndes Gefieder. Oder Flügelpigmentierung.
Es ist wie auf der Schmetterlingsfarm, die ich jeden Sommer mit Annabel besuche: Der Raum ist ein einziges Farbenmeer.
Plötzlich sticht mich der Neid. Ich bin nicht wie sie. Ich bin die kleine braune Motte, die immer wieder um die Glühbirne schwirrt.
Und dann blicke ich in den Spiegel neben der Bühne. Die Augen haben sie mir diesmal in einem satten Schwarz geschminkt und die Haare auftoupiert und am Hinterkopf festgesteckt. Meine Wangen sind rosa und gerötet, und das Licht funkelt auf meinem Kopf, auf den Schuhen, auf den Trägern an meinem Rücken. Das goldene Kleid fällt gerade runter, denn da ist nichts, was es halten könnte â ich bin nicht besonders entwickelt, nicht mal für eine Fünfzehnjährige â, aber ⦠es sieht trotzdem schön aus. Funkelnd.
Ich bin keine Motte mehr, geht mir da mit einem Ruck auf. Ich bin nicht unbedingt eine von ihnen, aber vielleicht bin ich trotzdem ein Schmetterling. Einer von den kleinen WeiÃen, die nicht lange leben, aber glücklich sind, eine kurze Weile auf der Welt zu sein.
»Harriet?«, ruft der Mann mit dem Headset. »Wo ist Harriet?«
»Ich bin hier«, sage ich laut und deutlich, obwohl ich feuchte Hände habe. Irgendwo da drauÃen im Zuschauerraum ist mein Vater. Yuka hat ihm widerstrebend ganz hinten einen Platz zugewiesen. Er soll stolz auf mich sein können. Unbedingt. Und Annabel auch, obwohl sie nicht hier ist und nichts davon weiÃ.
»Mach dich fertig«, sagt der Mann. »Du bist gleich dran.«
Ich trete an den Vorhang. Drei Mädchen sind noch vor mir. Rose, Shola und eine, mit der ich noch nicht gesprochen habe und die mich auch nicht angebrüllt hat. Sie trägt einen Kopfhörer. Ein sehr, sehr schönes Mädchen mit hellbraunen Locken.
»Ich bin Harriet Manners«, sage ich automatisch und strecke ihr die Hand hin, die einfach nicht aufhören will zu zittern.
Sie setzt den Kopfhörer ab. »Hä?«, meint sie. »Tut mir leid. Ich höre mir so kurz vor der Show immer Musik an, um die Nerven zu beruhigen.«
»Ich bin Harriet Manners«, sage ich noch einmal. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Ich weiÃ, wer du bist«, sagt sie, nickt und schenkt mir ein schiefes Lächeln. »Ich bin Fleur. Ich bin nicht das Gesicht von irgendwas.« Dabei zwinkert sie mir ganz dezent zu.
»Sie ist die Schlussläuferin«, sagt Shola und nickt in meine Richtung. Fleur zuckt nur die Achseln und setzt ihren Kopfhörer wieder auf, und Shola lächelt süÃ. »Und, Schatz, sie haben dir doch von der Planänderung erzählt, oder?«
»Was für eine Planänderung?«
»Die Ãnderung ⦠Wie, man hat dir nicht Bescheid gesagt? Das ist ja mal wieder typisch. Sie haben uns informiert, als du drauÃen warst, um das Hin-und-Hergehen zu üben.« Sie sieht Rose an. »Wie süë, fügt sie mit einem affektierten Grinsen hinzu.
»Was wurde denn geändert?« Ich merke, dass die Anspannung in mir wieder steigt. Ich habe alles auswendig gelernt: Ich weià nicht, ob ich mir im letzten Augenblick noch Detailänderungen merken kann.
Bei Prüfungen in der Schule passiert so was nie. Deswegen haben wir Prüfungsfragen-Ãbungsbücher.
»Also, wir sind hier in Moskau«, erklärt sie mir, als wüsste ich das nicht längst. Sie sieht mir in die Augen. »Und hier wird rechts gefahren. Yuka hat, obwohl sie keine Russin ist, in letzter Minute beschlossen, dass die Models auf der rechten Seite des Laufstegs gehen müssen. Nicht links, wie normalerweise. Um es ⦠realistischer zu machen. Relevanter.«
»Huch?« Ich runzle die Stirn. »Ehrlich?«
»Absolut. Nicht zu fassen, dass sie dir nichts gesagt haben. Das war aber knapp, was?« Shola setzt ein sehr erleichtertes Gesicht auf. »Hätte alles vermasseln können.«
Ich bin ganz durcheinander und atme erst mal tief durch.
Ehrlich, ich weià nicht, ob ich ihr glauben soll oder nicht. Lügt sie? Erzählt sie es mir, damit ich einen Fehler mache?
Kann ich ihr vertrauen oder nicht?
Shola sieht mich mit groÃen, stark geschminkten Mandelaugen an. »Wir sind alle auf derselben Seite«, sagt sie unschuldig. »WeiÃt du? Wir
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