Model-Ich (German Edition)
Booker Peter war damals gerade im Urlaub und versuchte später noch, mich zurückzuholen. Schließlich hatten wir zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre zusammengearbeitet und ihm verdankte ich den größten Teil meines Erfolges in New York. Aber ich lehnte ab. Ich hatte eine neue Agentur – und mein Ego hatte sich noch nicht von dem Schlag erholt.
Ich hatte der Agentur zu wenig Geld gebracht – das ist ein Argument, gegen das man schwer ankommt. Wenn es um Jobs geht, erfährt man selten, warum man ihn nicht bekommen hat. Wenn doch, heißt es: Sie wollten lieber eine Brünette. Oder: Der brasilianische Typ ist gerade eher gefragt. Das sind Erklärungen. Kein Trost.
Das Selbstbewusstsein, trotz allem weiterzumachen, hatte nichts mit meinem Aussehen zu tun. Ob ich mich schön finde, ist nicht entscheidend (wen’s interessiert: gelegentlich. Mit Make-up, in einem tollen Kleid, gut fotografiert oder nach zwei Wochen Strandurlaub). Ich wurde Model, weil eine Agentin etwas in mir sah, das ich als 16-Jährige nicht wahrgenommen habe, und ich habe seitdem kaum über mein Aussehen nachgedacht. Das mag man für arrogant halten. Ich weiß, dass es schierer
Selbstschutz ist. Es haben sich in den letzten 15 Jahren schon genug Leute mit meinem Aussehen beschäftigt. Hätte ich es auch getan, wäre ich durchgedreht.
Was mir Selbstbewusstsein gegeben hat, sind: mein Mann, meine Familie, meine Freunde. Die Menschen, die mir nah sind und mit denen ich mehr teilte als für drei Wochen im Jahr die gleiche Stadt. Sie haben mir die Sicherheit gegeben, rauszugehen und zu versuchen, andere von mir zu überzeugen. Und die Gelassenheit, es nicht zu schwer zu nehmen, wenn das mal nicht funktionierte.
THÜRINGEN
VON DEM KÜNSTLER RAINALD GREBE gibt es ein schönes Lied, in dem es heißt: »Thüringen, Thüringen, Thüringen ist eines dieser schwierigen Bundesländer. Denn es kennt ja keiner außerhalb von Thüringen.« Ich liebe dieses Lied. Für mich ist es die inoffizielle Hymne meiner Heimat und ich könnte jedes Mal vor Freunde heulen, wenn ich es höre. Als Mädchen vom Dorf aus Ostdeutschland war ich die Ausnahme unter den Models und immer gut für Gesprächsstoff, wenn ich gerade in Los Angeles oder Tokio unterwegs war. Die Modewelt kam mir sehr mysteriös vor und für die Modewelt war ich ein Alien. »Erzähl mal«, hieß es dann. »Wo ist Erfurt? Warum kannst du Englisch? Habt ihr schon Telefone?« Ich fand das eher amüsant als beleidigend und erzählte in einem meiner ersten großen Interviews in Deutschland davon, welche Klischees mir am häufigsten begegneten und wie ich meine Heimat wirklich sehe. Nämlich als schön und schrullig zugleich. So verstand es die Thüringer Allgemeine aber nicht und veröffentlichte einen Kommentar, in dem es so dargestellt wurde, als sei ich diejenige mit den Vorurteilen und würde mich für was Besseres halten. Das ist lange her, aber ich ärgere mich heute noch ein bisschen darüber.
Hinzu kam, dass ich in einem anderen Interview die Thüringer mit Hobbits und Thüringen mit dem Auenland verglich. Auch das wurde in der Heimat weniger gut aufgenommen. Aber wie, bitte schön, kann man denn Hobbits nicht liebenswert finden? Sie sind herrlich mürrisch und misstrauisch, echte Familientiere, die das Essen ebenso lieben wie das Feiern. Diese Beschreibung passt eindeutig auf den Thüringer. Vielleicht wollten
sie lieber nicht hören, dass ich sie für komische Käuze halte. Die meisten wollen wohl am liebsten zum normalen Durchschnitt gehören. Aber Thüringer sind nun mal nicht der normale Durchschnitt.
Als Niklas und die Jungs vom Plattenlabel Mo’s Ferry, die auch alle aus unserer Ecke von Thüringen stammen, vor ein paar Jahren nach einer Location für ein Musikfestival suchten, mussten sie gar nicht lang überlegen. Die Mutter einer alten Freundin war damals Bürgermeisterin meines Heimatortes Rottleben und jemand hatte schnell die Idee, sie zu fragen. So kam es, dass wir seit drei Jahren auf einer Dorfwiese vor der Barbarossahöhle – nur so nebenbei eine der größten Gipssteinhöhlen Europas – ein Open Air für elektronische Musik veranstalten. Das Motto ist »I love Vinyl«, es werden also Platten aufgelegt, Rechner und CD-Player gibt es nicht. Der Gedanke dahinter ist, für die Leute aus der Gegend etwas mehr zu machen, als bloß ein paar Biertische und zwei Boxen aufzustellen. Wir beschaffen Zirkuszelte und konnten einen befreundeten Künstler überreden, die Deko zu machen –
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