Model-Ich (German Edition)
die man bereist, wenig zu sehen. Eine Werbekampagne für die New Yorker Designerin Christina Perrin haben wir zum Beispiel in Rio de Janeiro fotografiert – in der Wohnung des Fotografen. Er hatte wohl einfach Lust, dort die Bilder zu machen, also flog man ein ganzes Team von Leuten nach Brasilien. Ich war auch schon in Los Angeles, nur um Aufnahmen in einem Studio zu machen. Besonders bizarr war meine Reise durch Fotostudios in München, Hamburg und Stuttgart – um in jeder Stadt den gleichen Pullover zu fotografieren. Der war so hässlich, dass er drei Mal abgelichtet werden musste, um am Ende ein vernünftiges Bild zu bekommen.
Es gab aber natürlich auch die Art von Reisen, an die Mädchen denken, wenn sie davon träumen, Model zu werden. Ich war zwar nur ein paar Tage in Rio, dafür bin ich einmal die berühmte Promenade an der Copacabana entlangspaziert. Wann hätte ich sonst dazu jemals die Gelegenheit gehabt? Ich stand auch schon in der Wüste in Tunesien in dem Dorf, wo Star Wars gedreht wurde, habe in prachtvollen indischen Villen posiert und in einer Kaschemme am Strand von Puerto Rico, wo außer uns nur eine Handvoll lokaler Haudegen saßen und ihren Rum tranken. Das waren die Reisen, bei denen ich das Gefühl hatte, wenigstens einen kleinen Eindruck von dem Land zu bekommen, das uns als hübscher Hintergrund für die Fotos diente. Die Bilder sehen oft paradiesisch aus, richtig wahrnehmen konnte ich meine Umgebung aber selten. Ich war ja dort, um zu arbeiten. Ich hoffe, dass ich irgendwann noch einmal an einige der Orte zurückzukehren kann.
Und Luxusreisen? Gab’s auch, obwohl ich in meinem Leben bisher eher Economy als First Class geflogen bin. Bis zur Wirtschaftskrise haben sich viele Kunden ihre Fotoreisen noch richtig was kosten lassen und man kam sich fast vor wie im Urlaub. Als ich mit dem Magazin Wallpaper in Thailand war, wurden das Team und ich für drei Tage in einem Luxushotel untergebracht und fuhren danach mit einem Speedboot auf eine Insel, wo jeder von uns für drei weitere Tage seine eigene kleine Villa im Dschungel bewohnte. Es war traumhaft und ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben kein Problem damit, vor sechs Uhr morgens aufzustehen. Dafür wurde ich auch schon in einem rostigen Schuppen auf Long Island fotografiert, in dem es keine Toilette gab und der auch sonst so widerlich war, dass man dort eigentlich nicht im Bikini herumspringen wollte.
Meine Ausflüge in die ganze Welt kommen mir oft vor, als hätten sie ein Resorthotelurlauber und ein Rucksacktourist zusammen geplant. Für jeden Aufenthalt in einem schicken Spa in Jackson Hole in Wyoming gab es einen Trip in eine unbeheizte alte Villa in einem Vorort von Paris.
Zu den schönsten Reisen gehörten eigentlich die, bei denen ich selbst nirgendwohin fuhr, sondern meine Familie zu mir kam. Meine Eltern und meine große Schwester Dani haben mich zum Beispiel einmal in New York besucht. Sie wohnten bei mir im Model-Apartment, was die Agentur netterweise erlaubt hatte, und wir haben uns die ganze Stadt angeguckt, waren auf dem Empire State Building und haben eine Hafenrundfahrt gemacht, das volle Programm. Ich konnte endlich mal Tourist spielen. Dazu ist man sich in seiner eigenen Stadt ja sonst viel zu cool.
ROTER TEPPICH
DER ROTE TEPPICH ist die Königsdisziplin im Promidasein. Bei meinem ersten Auftritt darauf kam es mir vor, als sei ich plötzlich Prinzessin. Mehr noch: eine Prinzessin mit gewaltigem Bammel. Es war im Sommer 2001 und in New York hingen riesige Plakate von mir für das Label der Designerin Christina Perrin. Sie hatte mich dazu auserkoren, sie als ihre Muse zu einem Event zu begleiten. Ich wurde schick eingekleidet, mit einer Limousine zu Hause abgeholt und tat so, als würde mir das mit meinen 21 Jahren jeden Tag passieren. Am roten Teppich angekommen, bot ich den Fotografen mein schönstes Lächeln, kombiniert mit ein paar typischen Posen, die ich mir aus People-Blättern abgeguckt hatte. Ich legte die Hand in die Taille, warf einen Blick über die Schulter, überkreuzte meine Beine – und wurde dafür angebrüllt. Ich war irritiert.
Wenn man als Neuling auf dem roten Teppich steht, ist man erst mal überrascht, wie aggressiv die Stimmung hinter dem Absperrgitter ist. Dort, wo Fotografen, Kamerateams und Journalisten auf das beste Foto, die Enthüllung des Abends oder einen innigen Kuss des neuen It-Paares hoffen, geht es hitzig zu und wer am lautesten schreit, bekommt die meiste Beachtung.
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