Model-Ich (German Edition)
Angesichts dieser Atmosphäre finde ich es faszinierend und Respekt einflößend, wie gelassen sich viele Prominente auf dem roten Teppich bewegen. In ihren Gesichtern kann man nichts von der Hektik und dem Stress erkennen. Wenn es ihnen geht wie mir, sieht es in ihrem Inneren aber ganz anders aus. Mir fällt dieser Teil meines Job immer wieder schwer. Mein Herz wummert, die Blitzlichter verursachen Kopfschmerzen, das Lächeln gefriert
mir im Gesicht und am liebsten möchte ich zurückschreien, wenn die Fotografen zum hundertsten Mal verlangen: »Eva! Eva! Eva! EEEVAAAAA! Mehr Bein! Und ein Lächeln. Jaaaaaa! LÄCHELN! LÄCHELN! Eva! Hier! Hier! Hier!« Ein Drill schlimmer als im Boot Camp.
Ich habe schnell mitbekommen, dass besonders in Deutschland auf dem roten Teppich großen Wert auf außergewöhnliche Posen gelegt wird. Es werden Röcke geschwungen, Luftsprünge gemacht, Handküsse verteilt und ständig hält jemand ein Peace-Zeichen oder ein Daumen hoch in die Kamera. Man kommt sich vor wie in einer japanischen Reisegruppe vor dem Schloss Neuschwanstein. Es ist, als ob man hierzulande ständig zeigen muss, wie viel Spaß Prominente auf diesen Veranstaltungen haben. Einige kommen den Bitten der Fotografen gerne nach, um zu beweisen, wie crazy und spontan sie so drauf sind. Generell gilt: Je unbekannter das Subjekt, umso größer die Bereitschaft zur bescheuerten Pose. Und am Ende werden immer die dämlichsten Bilder ausgesucht. Ich bin deshalb dazu übergegangen, den Fotografen nur das Nötigste anzubieten. Ein schönes Lächeln oder ein Schulterblick reichen meiner bescheidenen Meinung nach vollkommen aus und man verhindert, dass man am nächsten Tag wie ein Depp grinsend, mit hochgestrecktem Daumen und womöglich nur auf einem Bein stehend, in der Presse zu sehen ist.
Noch eine deutsche Eigenart ist es, auf dem roten Teppich so gekleidet zu erscheinen, als würde man gerade einen Sechserpack Bier aus dem Spätkauf holen. Ich verstehe ja, dass man sich wohlfühlen will. Das geht mir nicht anders und ich trage deshalb auch am liebsten Kleider, die bequem sind. Ich habe gelernt, bevor ich ein Kleid anziehe, in dem ich den ganzen Abend den Bauch einziehen muss und nichts vom leckeren Essen genießen kann, trage ich lieber etwas, das mich nicht in meinen Bewegungen einschränkt. Aber bei einem glamourösen Anlass sollte man
doch so viel Respekt gegenüber dem Gastgeber zeigen, gut gekleidet zu erscheinen. An dem Abend damals in New York hatte ich wohl alles richtig gemacht. Als ich mir am nächsten Morgen die Zeitung holte, stand unter meinem Bild: »German Übermodel Eva Padberg.« Komisch, aber den Stress vom roten Teppich hatte ich plötzlich vergessen.
SELBSTBEWUSSTSEIN
ES WAR EINER DIESER AUGENBLICKE, auf den jedes Model wartet. »Helmut Newton will dich treffen«, sagte mein Booker.
Helmut Newton? Der die Modefotografie auf den Kopf gestellt hat? Der Models zu Ikonen in Schwarz-Weiß macht? Der Größte?
»Ja«, sagte mein Booker, »DER Helmut Newton.«
Anscheinend hatte Louis Vuitton ihn für eine neue Werbekampagne angeheuert und 40 Models zur Auswahl eingeladen. Okay, er wollte also nicht nur mich sehen. Dafür bekam ich ihn zu sehen. Denn er kam selbst, um die Models zu treffen, sich unsere Bücher anzusehen und sich kurz mit uns zu unterhalten. Es waren einige darunter, die furchtbar dünn waren und zu jeder sagte Newton: Du musst mal was essen. Eine Wucht, der Mann. Ich hoffte nur, dass mir vor lauter Ehrfurcht nicht die Stimme versagen würde, wenn ich an der Reihe war. Vor mir sprach er mit einem anderen Model, das zu der Zeit ziemlich erfolgreich war. Ein cooles Mädchen, immer lustig drauf und ziemlich von sich überzeugt. Doch in dem Moment sah man davon nichts. Sie machte sich an Newton ran: »Ich mach alles! Ich nehme zu! Ich will unbedingt mit dir arbeiten!« Sie wirkte verzweifelt. Ich hätte ihr am liebsten gesagt: Das hast du doch gar nicht nötig. Aber da hatte Newton schon das Interesse an ihr verloren.
Sie wirkte wie jemand, der selbstbewusst genug ist, um auch bei diesem Casting die Fassung zu bewahren. Hat es aber durch ihr anbiederndes Verhalten völlig versemmelt. Vielleicht war sie
einfach nur so aufgeregt, Helmut Newton zu treffen. Denn es braucht nicht viel, damit ein Model sein Selbstvertrauen verliert. Ein ungeduldiger Blick von einem Fotografen. Eine mürrische Stylistin. Ein Booker, der sagt: »Du musst mehr aus dir rausgehen, ein bisschen weniger auf den Hüften wär
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