Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
geworden?«, wird enttäuscht gefragt. Soll sie vielleicht jeden Tag in Louboutins und Burberry-Trenchcoat in ihren Hinterhofprobenraum stöckeln?
Sigrid schafft es irgendwie, sich für dieselben Proben genauso leger anzuziehen und trotzdem überall nur Lob zu ernten. Ihr Haar glänzt immer. Auch sie trägt Jeans, doch ihre sind skinny, ausgefranst und total im Trend. Sie trägt eine Bikerjacke, doch die ist aus weichem Leder (kein Nerz diesmal) und jede Fashionista will genau so eine haben. Sie trägt ein T-Shirt, doch das ist Vintage und gerade der letzte Schrei in Hollywood und alle finden es super. Sie trägt kein Make-up, doch die Modepresse findet ihren Look »authentisch« und sieht ihn als »Zeichen, dass sie es ernst meint mit der Bühnenschauspielerei«.
Es gibt keine Fotos von ihr, wie sie sich im Probenraum aufführt, wo sie sich alle dreißig Sekunden ein Glas frisches warmes Wasser mit einem Spritzer Zitrone bringen lässt und bei jedem Satz fragt, ob sie nicht »ein klitzekleines bisschen mehr Text« haben dürfte.
Jim, der Schauspieler, der Jennys Vater spielt, hasst sie grenzenlos. Inzwischen muss er eigentlich nur noch danebenstehen, nicken und verzückt aussehen, während Sigrid in ihrer neuen ausgedehnten Rolle Monologe hält. Jenny und er haben sich total verbündet, was irgendwie witzig ist, wo er doch jemanden spielt, den wir im richtigen Leben unerträglich finden.
Alle anderen finden Sigrid reizend. Der Regisseur liegt ihr zu Füßen. Die anderen Schauspieler wollen Autogramme von ihr und verschlingen ihre Insidergeschichten aus Hollywood und die Anekdoten, wie es ist, mit Joe Yule zusammen zu sein, dem nicht mehr ganz neuen Teenager-Sexgott. Sie finden es sogar toll, wenn Sigrid auf der Bühne eine SMS bekommt und die Probe UNTERBRICHT, um sie zu lesen für den Fall, dass sie von Joe ist. Und die Bühnenassistenten und Techniker sind begeistert, wie aufmerksam Sigrid ist, weil sie jeden Tag mit einer frischen Schachtel Donuts kommt und jeden nach seinen Haustieren fragt. Nur Bill, Jennys Freund, sieht leicht genervt aus, wenn er mal wieder eine Szene umschreiben muss, um die Rolle der Stiefmutter jünger, hübscher und wichtiger zu machen.
»Das Problem ist«, sagt Jenny, »alle wissen, dass das Stück wegen ihr ein Erfolg wird. Alle denken, ich müsste Sigrid schrecklich dankbar sein, weil sie letztes Jahr ein Kleid von meiner Freundin getragen hat. Alle haben das Kleid im Museum gesehen, versteht ihr? Sigrid hat uns ins V&A geschleppt. So eine Art Betriebsausflug. Widerlich. Und nur weil ich Joe auch kenne, denkt Sigrid, es interessiert mich, welche Liebesbeweise er ihr ständig macht, dass er ihr jeden Tag Blumen ins Hotel schickt und Playlisten zusammenstellt und was er bei Twitter über sie schreibt.«
»Igitt«, sage ich. Es gibt kein anderes Wort dafür. »Igitt« trifft es genau.
Trotzdem sehen wir uns die Tweets im Internet an.
vermisse darling #sigsantorini. habe ihr was kleines geschickt, um frohen montag zu wünschen.
»Was hat er ihr geschickt?«, frage ich.
»Den Buchstaben S aus siebenundzwanzig Diamanten an einer Platinkette«, seufzt Jenny. »Und das passende Armband.«
Wir lesen weiter.
denke an #sigsantorini in london. in 2 wochen kommt ihr stück raus. sie ist dynamit. unbedingt ansehen.
Und dann nennt er den Link zur Website des Boat House.
»Natürlich ist die Website abgestürzt«, erklärt Jenny. »Es hat einen ganzen Tag gedauert, bis sie wieder lief. Alle fanden es super.«
Wir rühren noch ein bisschen im Unglück, dann fragt Jenny mich nach Alexander.
»Und? Ist es die wahre Liebe?«
Eigentlich wollte ich ihr gerade von dem falschen verknacksten Knöchel erzählen, aber sie sagt es so ironisch, dass ich gleich stinksauer bin.
»Kann sein«, sage ich. »Wir sehen uns nächste Woche wieder.«
Was heißt, ich muss ihm leider eine SMS schicken und einen Tag vorschlagen. Er nimmt den Vorschlag sofort an und schickt einen großen Blumenstrauß mit einer Karte, auf der steht: »Alles Gute zum geheilten Knöchel«. Muss wohl zum Stardasein gehören. Jetzt verstehe ich, wie Floristen und Juweliere im Geschäft bleiben.
Nur eine gute Woche vor Jennys Premiere ruft uns Edie zu einem Mittagsmeeting in der Cafeteria zusammen.
»Ich habe hier eine Liste der wichtigsten Gesundheitsrisiken bei Reisen auf den indischen Subkontinent zusammengestellt«, sagt sie, als wäre es das Normalste von der Welt. »So schlimm ist es gar nicht. Hauptsache, kein Wasser
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