Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer

Reihe.
    Dieses Jahr kleben rund um meinen Schminktischspiegel die Einladungen zu anderen Modenschauen – es sind so viele, dass ich mich kaum sehen kann (was gut ist in Anbetracht des schlimmen Flokatizustands meiner Haare). Die einzigen Zettel, die ich rumliegen habe, sind Merkzettel zu den Übungstests. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Fashion Week diesmal weniger Spaß machen wird als letztes Jahr.
    Wir planen zwar, so viele Modenschauen wie möglich zu sehen, aber eine Modenschau zu besuchen ist einfach nicht dasselbe wie selbst eine zu veranstalten. Ich habe damit gerechnet, dass ich das Organisieren vermissen würde, aber das stimmt nicht. Ich vermisse es WAHNSINNIG. Ich vermisse es so sehr, dass es wehtut. Ich vermisse die Panikanflüge, die hektischen Telefongespräche, die Gewissheit, dass nichts rechtzeitig fertig wird, die genialen Ideen für Lidschatten und Schuhe, das ständige Eintreffen von Paketen mit Accessoires, die Glücksmomente, wenn sich Krähes unglaubliche Entwürfe zu einem Gesamtkunstwerk zusammenfügen, das dem Publikum den Atem raubt. Das Gefühl, ein funktionierendes Rädchen im Modebetrieb zu sein, anstatt als Zuschauerin nur am Rand zu stehen.
    Hoffentlich bekommen wir irgendwann noch mal die Chance dazu, aber wenn wir die Sache mit Andy nicht in den nächsten Wochen klären, können wir uns von dem Budget verabschieden, das nötig ist, um eine Modenschau auf die Beine zu stellen. Der Gedanke, dass es vielleicht nie wieder passiert, nagt an mir und macht mich ganz zittrig. Krass, wie schnell man nach etwas süchtig werden kann, wenn man nicht aufpasst.
    Es wäre nett, wenn sich jemand erkundigen würde, wie ich damit zurechtkomme, in diesem Jahr nur zuzusehen, aber das macht niemand. Anscheinend sind zurzeit alle mit Wichtigerem beschäftigt.
    Edie ist damit beschäftigt, schwarze Listen aller Läden anzufertigen, in denen wir wegen ethisch fraglicher Praktiken nicht einkaufen dürfen, und sie geht schon mal die Ratschläge des Gesundheitsamts für Reisen nach Indien durch. Sie hat die Prüfungsvorbereitung SCHON HINTER SICH, obwohl es noch Monate bis dahin sind, so dass sie sich keine Sorgen wegen der Übungstests machen muss, aber dafür hat sie Reisefieber. Komisch. Ich dachte, ich würde Edie in- und auswendig kennen, aber sie schafft es immer wieder, mich zu überraschen.
    Jenny ist damit beschäftigt, alle fünf Minuten anzurufen oder mich per SMS zu informieren, wie das Stück bis zur Unkenntlichkeit geändert wurde, so schlimm, dass sie gar nicht darüber reden kann. Sigrid ist DERMASSEN die Königin des Bösen.
    Alexander ist damit beschäftigt, nachzufragen, ob es meinem Knöchel besser geht, damit wir uns wiedersehen können. Ich habe ihm gesagt, die Genesung schreitet nur langsam voran.
    Mum ist damit beschäftigt, sich Sorgen wegen meiner Prüfungen zu machen, aber Papa hat es geschafft, sie davon zu überzeugen, dass ich Indien auf keinen Fall verpassen darf. Er meint, die Reise wird mir in Erdkunde helfen, was ziemlich witzig ist. In Erdkunde kommt bei mir jede Hilfe zu spät, aber es ist nett von ihm, dass er es versucht. Außerdem macht Mum sich Sorgen um Harry, der allmählich seine Examensausstellung im Juni vorbereiten sollte, aber er hängt nur zu Hause rum »wie ein schmutziger Spüllappen« oder hört in seinem Zimmer sehr laut traurige russische Volksmusik.
    Man könnte meinen, dass wenigstens Krähe die Fashion Week so vermisst wie ich, aber falls es so ist, lässt sie sich nichts anmerken. Stattdessen ist sie plötzlich furchtbar mit dem Entwurf des kompliziertesten, teuersten Kleids beschäftigt, das sie je gemacht hat.
    Sigrid ist nächsten Monat in Paris zur Feier zu Ehren der Filmindustrie im Elysée-Palast eingeladen. Gastgeber ist der französische Präsident höchstpersönlich. Seine Frau, die früher Model war, wird auch da sein. Und genug Paparazzi, um den Eurostar vollzukriegen. Das ist das Großereignis, wofür sie das Kleid braucht.
    Diese Feier spielt in einer anderen Liga als das italienische Filmfestival. Bilder der vor dem Elysée-Palast ankommenden Gäste werden in den Fernsehnachrichten gezeigt, in jeder Zeitung, jeder Modezeitschrift und der Hälfte aller Fashion-Blogs im Internet. Alle Modeschöpfer überschlagen sich, um die Stars anzukleiden. Bestimmt entwirft Vivienne Westwood ein Kleid für jemanden. Und Alberta Ferretti. Und Alber Elbaz für Lanvin und die Leute von Valentino (Valentino selbst hat sich auf seine Yacht