Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
Kinder in Indien gehen. Und in anderen Ländern auch, wenn es geht.«
»Oh, tut mir leid«, sagt er spöttisch. »Das hatte ich ganz vergessen. Und was ich mit den Profiten mache. Paolo?«
Er sieht seinen PR-Guru an. Paolo hat die Sonnenbrille abgesetzt, um sich die Entwürfe aus der Nähe anzusehen. Unter der Brille sind seine Augen rosa und geschwollen und ich kann verstehen, dass er sich die Brille schnell wieder aufsetzt. Dann richtet er sich in seinem schwarzen Rollkragen zu voller Größe auf.
»Es gibt nur ein Wort für diese Kollektion«, sagt er entschieden.
Er lässt eine dramatische Pause. Schweigend warten wir.
»GENIAL!«
Triumphierend sieht er sich im Raum um. »Absolut genial. Ich LIEBE LIEBE LIEBE es! Diese Mädchen sind UNGLAUBLICH. Die Kleider sind FANTASTISCH! Wer würde in das bunteste Land der Welt fahren und etwas entwerfen, das vollkommen einfarbig ist? Das ist INSPIRATION! Es ist CHANEL! Und so NÄCHSTES JAHR! Die Miss-Teen-Kundinnen werden es LIEBEN!« Er nimmt den nächsten Skizzenblock und küsst ihn.
In Andys Gesicht bewegt sich kein Muskel.
»Ich melde mich später bei euch, Kinder«, sagt er. »Wir haben hier etwas zu besprechen. Aber es kann sein, dass wir ins Geschäft kommen.«
Am nächsten Abend habe ich immer noch seine Stimme im Ohr. Ich sitze in Jennys Garderobe, die sie mit Megan, der Schauspielerin, die ihre Mutter spielt, teilt, und versuche die Vogue zu lesen. Mum meinte, ich sollte Mathe lernen. Ha ha ha.
An der offenen Tür sind bis jetzt sechs Boten mit riesigen Blumensträußen für Sigrid vorbeigelaufen. Oder vielleicht war es immer der gleiche Bote, der sechsmal vorbeigelaufen ist. Hinter circa viertausend Blumen ist das schwer zu erkennen.
Für das, was Joe Yule ihr diesmal als Beweis seiner Liebe geschickt hat, sind zwei Leibwächter nötig, die auf dem Gang rumstehen, Platz wegnehmen und den Bühnenhelfern im Weg sind. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich frage mich, ob es vielleicht doch noch andere heimliche Mitglieder im Sigrid-ist-wirklich-die-Königin-des-Bösen-Klub gibt.
Heute ist die Premiere von Tochter ihres Vaters im Westend. Eigentlich ist es gar nicht die erste Vorstellung. Es ist die achte, aber die anderen zählen nicht, weil es Voraufführungen waren. Jenny wollte nicht, dass wir vorher kommen. Sie war zu nervös und meinte, wir machen es nur noch schlimmer. Inzwischen ist sie so dünn geworden, dass ihre Kostüme enger gemacht werden mussten.
Krähe musste ständig an Plan Jenny nachbessern, um den perfekten Sitz beizubehalten. Damit und mit der Fertigstellung der Entwürfe zu »Weißes Licht« hat sie sich total verausgabt, weswegen sie jetzt zu Hause ist und sich ausschläft, anstatt im Publikum zu sitzen. Sie wird noch öfter die Gelegenheit haben, sich das Stück anzusehen.
Falls sie Lust hat. Heute ist der Abend, an dem die Kritiker kommen. Was sie morgen schreiben, kann die Inszenierung zum Erfolg machen oder in Grund und Boden stampfen. Es geht nicht um die Besucherzahlen – es sind jetzt schon fast alle Vorstellungen ausverkauft –, sondern darum, ob die Leute kommen, um eine Katastrophe oder einen Bombenerfolg zu sehen. Ich habe damit gerechnet, dass Jenny vor lauter Aufregung durchdreht, doch erstaunlicherweise ist sie heute Abend gut drauf.
Es ist genauso wie im Boat House. Kaum hat sie ein richtiges Publikum vor sich, für das sie spielt, kann sie ganz entspannt in ihre Rolle schlüpfen. Im Theater ist sie in ihrem Element. Das merkt man ihr an. Sie hat den gleichen Ausdruck in den Augen wie Krähe, seit wir im Taj Mahal waren. Sie ist die geborene Theaterschauspielerin und ich habe das Gefühl, nicht mal die Kritiker können ihr das diesmal kaputt machen.
Ich weiß nicht, wie es Sigrid geht, denn als sie in ihre Garderobe geht – an den Geschenkwächtern vorbei –, hält sie den Kopf gesenkt und blickt zu Boden.
»Wir wurden angewiesen sie nicht anzusprechen«, sagt Jenny. »Lampenfieber. Sie braucht Raum.«
Raum hat sie genug in ihrer Garderobe. Jenny sagt, sie ist so groß wie alle anderen Garderoben zusammen. Und Sigrid hat sie in ihrer Lieblingsnuance von Elfenbeinweiß streichen und mit Duftkerzen von Jo Malone, fünf Luftbefeuchtern und drei antiken Spiegeln ausstatten lassen, »der Stimmung wegen«. Auf jeden Fall hat sie damit Stimmung bei der Besetzung und den Technikern gemacht. Nicht unbedingt die, die sie haben wollte. Eher Stimmung gegen sich.
Doch ich bin nicht nur wegen der moralischen
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