Moderne Piraten
Sie trotz meinem Abraten doch noch etwas unternehmen?«
»Nein, Herr Konsul, eine andere Sache führt mich zu Ihnen. Durch Zufall treffe ich da draußen den kleinen Steward von der ›Usakama‹. Er hat mir seine Geschichte erzählt. Was halten Sie davon?«
Der Konsul zuckte die Achseln. »Die Geschichte kann wahr sein, Herr Doktor; sie kann aber auch nicht wahr sein. Wir sind hier dicht bei Arabien, dem Lande der Märchenerzähler. Da darf man nicht alles glauben.«
»Herr Konsul, was sollte der Junge für einen Grund zum Schwindeln haben?«
»Weiß ich nicht, Herr Doktor. Offen gesagt, es interessiert mich auch nicht. Wenn Sie hier einmal ein Jahr lang auf meinem Stuhl gesessen hätten, wären Sie auch Skeptiker. Jeden Monat kommen Seeleute zu mir, die irgendwie ihr Schiff verpaßt oder sonstwie verloren haben, und beanspruchen meine Hilfe. Nachgerade kennt man die Sache und wird abgebrüht.«
»Was wollen Sie mit dem Jungen machen?«
»Ihn mit dem nächsten Dampfer nach Hause schicken. Weil er noch minderjährig ist, habe ich ihn bei mir in die Küche gesteckt. Da kann er sich nützlich machen.«
Armer Rudi, man scheint hier nicht viel Wert auf deine Anwesenheit zu legen! dachte Gransfeld bei sich. Laut fuhr er fort: »Ich wäre nicht abgeneigt, Herr Konsul, den Jungen in meine Dienste zu nehmen und würde ihn dann auch nach Deutschland bringen.«
Bereitwillig ging der Konsul auf diesen Vorschlag ein. Noch viel erfreuter aber war Rudi, als Gransfeld ihn ins Zimmer rief und ihm seinen Entschluß mitteilte. Hinaus aus der engen, heißen Küche, in der er sich seit Tagen so langweilte! Als Diener bei dem Doktor, der ihn von Anfang an so anständig behandelt hatte! Nur mit Mühe unterdrückte er in dem Amtszimmer einen Freudensprung. Um so ausgelassener waren seine Bewegungen nachher auf der Treppe.
Bis zur Haustür ließ Gransfeld ihn gewähren, dann rief er ihn zur Ordnung. »Sei vernünftig, Rudi! Jetzt ist’s genug. Jetzt gehen wir erst einmal in einen Laden, daß du wieder passende Kleider auf den Leib bekommst. In der Kluft da kann ich mich mit dir im Splendidhotel nicht sehen lassen.«
Als Gransfeld eine Stunde später ins Hotel kam, befand sich in seiner Begleitung ein gut angezogener junger Mann, der sich, dem Range des Hotels angemessen, ruhig, sittsam und unauffällig benahm.
Die Plätze auf der »Warana« hatte Gransfeld belegt. Für die drei Tage, die sie bis zum Abgang des Schiffes noch in Port Said bleiben mußten, brachte er Rudi im obersten Stock des Hotels unter, in dem sich die Dienerzimmer befanden.
Als Doktor Gransfeld allein in seinem Zimmer saß, fragte er sich selbst, wie er zu dem plötzlichen Entschluß gekommen war, Rudi in seine Dienste zu nehmen. Irgendeine äußere Notwendigkeit lag nicht vor. Kaum, daß er ihm einigermaßen Beschäftigung geben konnte, indem er ihm die Sorge für seine Kleidung und das Gepäck übertrug und ihn hie und da Gänge in die Stadt machen ließ. Dennoch hatte er dies plötzlich wie eine Notwendigkeit empfunden. Damals in der Küche des Konsuls war’s, wo Rudi ihm seine Geschichte erzählte, seinen Sturz in die See. Als er von dem heimtückischen Schlag sprach und dabei Rasati, den Levantiner, erwähnte, da war es Gransfeld einen Augenblick lang gewesen, als ob er mit Hilfe des Jungen den Vorhang heben, die Gestalten, die dahinter ein dunkles Spiel trieben, entlarven könne.
Von einer Verbindung zwischen dem Levantiner und jenem Holländer, der Namen und Gestalt wechselte, hatte Rudi gesprochen. Den Holländer hatte er selbst mit dem Griechen zusammen gesehen. Der Grieche war der Letzte gewesen, der seinen Onkel lebend gesprochen hatte. Das war eine ganze Reihe von verdächtigen Personen und geheimnisvollen Zusammenhängen. Einen Augenblick glaubte er, sie zu übersehen, im nächsten war alles wieder unklar und verschwommen. Dennoch – schien es nicht wie eine Kette, die sich von Geheimnis zu Geheimnis spannte? Eine Kette, von der er nur wenige Glieder undeutlich geschaut hatte, deren Enden sich im Nebel verloren.
Gransfeld strich sich über die Stirn, als wolle er die drückenden Gedanken verscheuchen. Am Ende waren es nur Hirngespinste, leere Vermutungen, mit denen er sich grundlos plagte. Ah bah! Weg damit! Schließlich blieb’s immer noch ein gutes Werk, wenn er den Jungen mit in die Heimat nahm. War ihm nicht eben erst unvermutet eine reiche Erbschaft zugefallen, die es ihm erlaubte, unbedenklich solche Werke zu tun?
Während Gransfeld
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