Moderne Piraten
Aufregung der letzten Minute hatten sie es alle überhört. Noch einmal und stärker wurde jetzt an die Tür gepocht.
»Come in!« rief Morton.
Die Tür sprang auf. Fünf Polizisten, den Gummiknüppel an der Seite, drangen durch die einzige Tür in den Raum.
Mit einem Sprung wollte Morton sie überrennen, ihre Reihe durchbrechen, den Weg ins Freie gewinnen.
»Hands up!« Im selben Augenblick sah er in drohende Revolvermündungen. Ein kurzes Klicken und Schnappen, und Handschellen saßen an seinen Gelenken.
»Well, Mister Morton, Scotlandyard braucht Sie – in der Picadilly-Street ist mancherlei ins reine zu bringen – und Sie auch, Miß Dimitriescu. Ich denke, Sie ersparen uns die Notwendigkeit, Ihnen ebenfalls die Handschellen anzulegen.«
Der Polizeioffizier trat an den Liegenden heran. Auf einen Wink von ihm hoben zwei seiner Leute Mac Andrew auf ein Ruhebett.
»Vom Rücken her ins Herz getroffen, Sir«, meldete einer der Polizisten. »Er muß sofort tot gewesen sein.«
»Erstochen? Von wem? Von seinem Genossen?« Der Offizier sagte es mit einem Blick auf Morton.
»Nonsense!« knurrte der. »Da drüben in der Ecke liegt der Schuft, der’s getan hat.«
Erst jetzt sahen die Polizisten Jefferson, der wie ein regungsloses Bündel in einer dunklen Ecke zwischen einem Schrank und dem Kamin lag. Als sie ihn aufhoben und zu einem Sessel trugen, gab er Lebenszeichen von sich.
»Wer ist das?« fragte der Offizier.
»A damned crazy fool!« knirschte Morton.
»Ein armer Kranker, der hier eine Entziehungskur durchmachen sollte«, sagte die Dimitriescu.
Ein Flüstern zwischen dem Offizier und seinen Leuten.
Eine Entziehungskur? In Duncan-Castle? Im Hause des Mannes, der ganz Europa, ja die halbe Welt mit Rauschgiften überschwemmt hatte? Der Mann tot – gefällt von der Hand jenes andern, dem Rauschgift Verfallenen!
Ein langes, drückendes Schweigen trat ein. Sie fühlten das Walten einer höheren, rächenden Macht, die hier ein Urteil gefällt und vollzogen hatte.
*
Der Vorsitzende des Gerichtshofes erhob sich und setzte das Barett auf. »Erkannt und verkündet: Der Angeklagte Heinrich Altmüller wird wegen fortgesetzten Diebstahls und Vergehens gegen das Rauschgiftgesetz zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt, von der zwei Monate als verbüßt durch die Untersuchungshaft gelten. Für zwei weitere Monate hat das Gericht ihm eine dreijährige Bewährungsfrist zugebilligt. – Nehmen Sie das Urteil an, Angeklagter?«
Altmüller stierte den Richter verständnislos an.
»Haben Sie verstanden, Angeklagter? Sie sollen noch acht Wochen sitzen, sind Sie damit einverstanden?«
»Noch acht Wochen?« Ein Schein des Verständnisses glitt über Altmüllers Gesicht. »Bloß noch acht Wochen? Dann kann ich wieder raus?«
»Ja! Aber Sie dürfen sich während der nächsten drei Jahre nichts zu schulden kommen lassen, sonst müssen Sie wieder rein. Sind Sie damit einverstanden?«
»Ja, ja, Herr Rat!«
»Gerichtsschreiber, schreiben Sie: ›Der Angeklagte nimmt das Urteil an. Die Verhandlung ist geschlossen.‹«
Das Publikum verließ das Gorlaer Gerichtsgebäude und verlief sich auf der Straße. Nur drei Menschen standen noch auf der großen Freitreppe.
»Na, Gransfeld, bist du mit dem Urteil zufrieden? Ich finde, der Mann ist eigentlich zu billig weggekommen.«
»Laß es gut sein, Rübesam! Er ist aus Schwäche gestrauchelt.
Die Strafe trifft ihn immer noch schwer genug. Du kannst sicher sein, die andern, die wirklich Schuldigen, wird man nicht so leichten Kaufes davonkommen lassen. Unserm Freunde Henke dürfte eine recht unangenehme Dauersitzung bevorstehen, und den Monsieur Megastopoulos wird man auch nicht mit Samthandschuhen anfassen. Ganz zu schweigen von denen, die man in England und Port Said gefaßt hat. – Die Verhandlung in Hamburg ist für die nächste Woche angesetzt. Rudi und ich werden hin müssen, denn wir sind als Zeugen geladen.« »Viel Glück auf die Reise, und überhaupt viel Glück in Hamburg! Eine Frage, Gransfeld. Darf man dir schon gratulieren?«
»Du darfst es, Rübesam, Susanne und ich sind verlobt. Wegen der Trauer um ihren Vater haben wir von einer Veröffentlichung abgesehen.«
Rübesam ergriff seine Rechte und drückte sie. »Nimm meine herzlichsten Glückwünsche, mein lieber alter Freund, und alles Gute auf euren Lebensweg!«
»Ich danke dir, Rübesam. Ein wenig hast auch du zu dieser Verlobung mitgeholfen. Übers Jahr bei der Hochzeit in Hamburg darfst du mir
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