Moderne Piraten
eingetreten. Nur die Rücksicht auf seine Stellung bei der Irrigation Company hat mich davon abgehalten, eine Vergiftung als Todesursache in die Sterbeurkunde zu schreiben. Sie begreifen, der Ruf der Company, das unliebsame Aufsehen, das ein solcher Fall hervorrufen würde – ich habe es vorgezogen, einfach eine akute Herzlähmung als Todesursache anzugeben. Ihnen aber, als dem nächsten Verwandten, möchte ich doch auf alle Fälle reinen Wein einschenken.«
Gransfeld fuhr auf. »Wie ist das möglich, Kollege? Sollte mein Oheim absichtlich …?«
Der Engländer zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht; niemand kann es wissen. Vielleicht ist in der Benommenheit ein Versehen geschehen, vielleicht liegt aber auch Absicht vor. Tatsache ist, daß Ihr Oheim zur Linderung seiner Schmerzen seit Jahren Betäubungsmittel benutzte. Dies hier« – er reichte Gransfeld eine größere Pappschachtel – »fand ich neben seinem Lager; es enthält, wenn ich mich nicht täusche, Heroin, und zwar ein Mehrfaches der tödlichen Dosis. Es ist mir unbegreiflich, wie Ihr Oheim derartige Mengen überhaupt in seinem Besitz haben konnte.«
Gransfeld schüttelte den Kopf. »Unverständlich, in der Tat, wenn das wirklich Heroin ist. Kein gewissenhafter Arzt würde seinem Patienten eine solche Menge auf einmal verschreiben. Trotzdem, mein Onkel erwartete mich, hatte mich wiederholt eingeladen. Gewiß, er schrieb, daß sein Leiden ihm starke Beschwerden mache, aber keine Spur von Todesahnung oder gar von Todesabsichten ist in seinen Briefen zu finden. Wäre es denkbar, Herr Kollege, daß das Gift von dritter Hand …?«
Mac Kennah schüttelte den Kopf. »Ich halte das für ausgeschlossen, zum mindesten für unwahrscheinlich. Wer sollte an solchem Mord – offenkundiger Mord wäre das ja – ein Interesse haben?« —
Am nächsten Morgen folgte die Beisetzung George Gransfields so, wie er sie gewünscht hatte. Ein Gefolge von Ingenieuren und Angestellten der Bewässerungswerke gab ihm das letzte Geleit.
Nachdenklich kehrte Gransfeld in das verwaiste Haus zurück und ging daran, den Nachlaß des Verstorbenen zu ordnen. Wenn Doktor Lüders behauptet hatte, daß der Chefingenieur der Irrigation Company ein Vermögen zurückgelegt haben müsse, so hatte er damit nicht zu viel gesagt Gransfeld fand Belege und Abrechnungen über Bankdepots in Deutschland und Ägypten, die seine Erwartungen übertrafen. Hier war zweifellos alles in Ordnung. Ein Dritter konnte an diese Gelder nicht herankommen. Der Verdacht, den er gestern einen Augenblick gehegt hatte, begann zu schwinden.
Blieb noch die Kunstsammlung des Verstorbenen. Vieles davon befand sich nach den vorliegenden Aufzeichnungen in Bankdepots in Deutschland. Nur weniges mußte hier im Hause sein, darunter das bei weitem schönste und wertvollste Stück, die Statuette des Sethos. Gransfeld ließ Himati kommen und fragte ihn danach.
Dieser, immer noch niedergeschlagen, verwirrt und verstört, zuckte die Achseln. »Das kleine Standbild, ich weiß. Der Sahib verwahrte es in dem eisernen Schrank. Am letzten Tage noch befahl er mir, es zu holen. Auf den Tisch neben ihm mußte ich es hinstellen. Der Sahib liebte das Bild. Lange Zeit hat er es oft angeschaut.«
Gransfeld wurde ungeduldig. »Schon gut, Himati. Wo ist die Statuette geblieben? Im Tresor ist sie nicht, hier irgendwo draußen auch nicht. Wo hast du sie gelassen?«
Himati wurde noch verwirrter und stotterte, als er weitersprach. »Das Steinbild, Sahib – ja, das Steinbild … Der griechische Herr war bei meinem guten Sahib, hierauf ging er fort. Dann, als ich meinen Herrn in das Haus bringen wollte« – ein Schluchzen erschütterte die Gestalt des Inders – »da fand ich ihn tot. An das Steinbild habe ich nicht weiter gedacht.«
Gransfeld faßte den Boy scharf ins Auge. »Du bist aber dafür verantwortlich, Himati. Die Statuette hat einen großen Wert. Man wird sagen, Himati, daß du sie genommen habest.«
Der Inder zuckte zusammen. Einen Augenblick spielte seine braune Gesichtsfarbe in ein blasses Grau über, dann strömte ihm das Blut wieder in die Wangen. »Sahib! Ich meinen guten Herrn bestehlen? Wer das sagt, der kennt Himati nicht. Dreißig Jahre habe ich ihm treu gedient. Schon in Indien bin ich bei ihm gewesen. Gute Tage habe ich bei ihm gehabt, Geld habe ich sparen können. Ich meinen Herrn bestehlen? Niemals, Sahib, niemals!« Schluchzend sank der Boy zu Boden.
Gransfeld fühlte, daß er zu weit gegangen war. »Ich sage nicht,
Weitere Kostenlose Bücher