Moderne Piraten
Fahrgäste verschwand mit spitzen Nasen und grünen Gesichtern in ihren Kabinen.
»Weißt du, Gransfeld«, meinte Doktor Krone, »das wird ein richtiges Grogwetter. Komm mit in meine Kabine! Dein Boy kann für das nötige heiße Wasser sorgen. Einen erstklassigen Rum und auch Zucker habe ich auf Lager. Da können wir gemütlich plaudern.«
Gransfeld nahm dankend an, und bald saßen die beiden im Gespräch hinter dampfenden Gläsern.
»Alle Wetter, Krone, du wohnst ja fürstlich! Außer deiner Kabine hast du noch den großen Raum hier mit der ganzen Einrichtung, einen Operationstisch und eine vollständige Bordapotheke. Mancher Kollege auf dem Lande könnte dich darum beneiden. Was hast du denn da noch? Das sieht ja ganz nach Laboratorium aus.«
Krone nickte. »Richtig geraten, alter Schwede. Das ist so ein kleiner Sport von mir. Manche Leute behaupten, daß ein Schiffsdoktor sich bloß auf Knochenbrüche zu verstehen brauche. Aber ich sage dir, gerade die Schiffspraxis zwischen drei Weltteilen bringt hochinteressante Fälle. Doch muß man natürlich mit den neuesten Errungenschaften vertraut sein, wenn man Gewinn daraus ziehen will. So muß man bei ansteckenden Krankheiten zum Beispiel Bakterienkulturen anlegen und mikroskopieren können. Sieh mal das neue ZeißMikroskop! Das ist mein besonderer Stolz. Na, die Reederei weiß auch, was sie an mir hat! Ungeklärte Fälle und überflüssige Quarantänen gibt’s bei mir nicht. Was vorkommt, wird richtig diagnostiziert und nach Möglichkeit geheilt.«
Gransfeld lachte. »Du bist doch immer noch der Alte! ›Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr‹, war ja schon in Tübingen dein Lieblingswort. Aber sage mal, der Glasschrank da an Backbord sieht so nach Chemie aus! Was hast du denn da drin?«
»Alles, mein Lieber, was ein moderner Schiffsarzt braucht, um die an Bord nötig werdenden Analysen selber vornehmen zu können.«
Gransfeld schwieg und rührte nachdenklich in seinem Grog herum.
»Warum bist du so schweigsam, Gransfeld? Denkst du, ich übertreibe?«
»Durchaus nicht, Krone. Mir fällt nur ein, du könntest mir mit diesen Hilfsmitteln einen Gefallen erweisen.«
»Aber gern, Gransfeld, wenn es in meinen Kräften steht.«
»Hm! Ich erzählte dir von meinem Onkel in Syut. Ein Betäubungsmittel soll bei seinem Tode eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben.« Er drückte auf den Klingelknopf. Rudi kam in den Raum. »Rudi, in meinem kleinen Kabinenkoffer unten links liegt eine blaue Pappschachtel. Bring’ mir die einmal her!«
Rudi ging und kam mit dem Gewünschten zurück.
»Siehst du, Krone, diese Schachtel fand sich im Schlafzimmer meines Onkels. Von dem Zeug soll er zu viel genommen haben. Kannst du herausfinden, was das ist?«
Doktor Krone öffnete die Schachtel. Ihr Inhalt bestand aus kleinen weißen Tabletten. Er roch und leckte daran.
»Hm, sieht weiß aus, schmeckt bitter, ist fast geruchlos. Das ist irgend etwas aus der Hexenküche der Teerchemie. Hast du eine Vermutung, was es sein könnte?«
»Ich weiß nur, daß es ein schmerzlinderndes und in größerer Menge tödlich wirkendes Mittel sein soll.«
Doktor Krone schüttelte den Kopf. »Sehr erschöpfend ist deine Auskunft gerade nicht. Da bleibt uns die ganze ungeheure Menge der verschiedenen -ine, -ide und -xyle, die von der chemischen Industrie erzeugt werden. Wir müssen halt probieren.« Er ging mit der Schachtel zum Chemieschrank.
Gransfeld folgte ihm und sagte dabei: »Mir ist so, als ob der englische Kollege in Syut von ›Heroin‹ gesprochen habe.«
Krone pfiff durch die Zähne. »Warum sagst du das nicht gleich? Das kann die Sache ganz wesentlich vereinfachen.« Er nahm ein Reagenzglas, füllte es aus einer der Flaschen, schabte von einer der Tabletten ein wenig Pulver hinein und rührte mit einem Glasstab um. In wenigen Sekunden färbte sich die Flüssigkeit rot.
»›Sieh da, sieh da, Timotheus!‹ Ist heroinverdächtig. Noch eine zweite Probe, und wir werden es sicher wissen.«
Aus mehreren Flaschen stellte Doktor Krone mit Hilfe von Mensurgläsern eine neue Flüssigkeit zusammen und rührte sie gut durcheinander. »Sei so gut, Gransfeld, und halte das Glas! Und nun, gib acht!« Er griff nach der Tablette und dem Messer. »Wenn die Geschichte sich jetzt olivgrün färbt, dann ist’s mit Sicherheit Heroin.«
Mit dem Messer begann er an der Tablette zu schaben, während Gransfeld mit dem Glasstäbchen umrührte. Fast augenblicklich färbte sich die
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