Moderne Piraten
sich am Waschtisch zu schaffen. Schon flog die Tür auf. Rasati trat herein und herrschte ihn grob an: »Was machen Sie hier?«
»Ich bringe Ihre Kabine in Ordnung, Herr Rasati.«
»Dazu ist jetzt keine Zeit. Scheren Sie sich auf Deck und bedienen Sie gefälligst die Fahrgäste!«
Rudi verschwand, zufrieden, so glimpflich davonzukommen. Rasati blieb zurück und schob den Riegel vor. Mißtrauisch blickte er sich um. Lange haftete sein Blick an der Bettdecke. War die nicht verschoben? War sie vorher nicht mit den Kanten unter die Matratze geschlagen, während sie jetzt frei hing? Endlich hob er sie auf und stellte mit einem Gefühl der Erleichterung fest, daß die Beutel vollzählig vorhanden waren. Sorgfältig verbarg er sie unter seiner Wäsche in der Lade und warf sich dann in einen Stuhl. Kein Zweifel, eine fremde Hand hatte sich an der Decke zu schaffen gemacht. Wer anders als der Steward Wagner konnte das gewesen sein? Hatte er sie aufgehoben und das, was darunter steckte, gesehen? Gleichviel, ob ja oder nein; der Mensch hatte sich verdächtig gemacht. Wütend ballte Rasati die Faust. Wer konnte wissen, wieviel Rudi in seinem Schlupfwinkel von dem französisch geführten Gespräch aufgeschnappt hatte? Tat, als ob er kein Französisch verstünde! Verdächtig! Und jetzt? Was hatte der gerade jetzt in der Kabine zu suchen? Mehr als verdächtig! Ein Spion war das, der hinter ihm herschnüffelte.
Rasati sprang auf und preßte die Zähne knirschend zusammen. In rasender Wut verzerrten sich seine Züge. Wie ein Raubtier, das sich zum Sprung anschickt, stand er in der engen Kabine. Verwünschungen ohne Maß und Zahl kamen über seine Lippen. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Minutenlang dauerte dieser Ausbruch wildester Wut. Dann sank Rasati wie erschöpft auf den Stuhl zurück. Das Spiel seiner Züge veränderte sich; eine harte, zu allem fähige Entschlossenheit sprach aus ihnen. Scharf starrten seine Augen in die Ferne.
Dumpf und heiser heulte die Schiffssirene auf. Es war das Signal, daß die »Usakama« im Begriff stand, an den Pier zu gehen. Der dröhnende Schall riß Rasati in die Wirklichkeit zurück. Mit Gewalt zwang er sich zur Ruhe. Als er die Kabine verließ, waren seine Züge unbewegt und gleichmütig. Auch ein scharfer Beobachter hätte nur Dienstbeflissenheit für die Fahrgäste des Schiffes aus ihnen lesen können.
Der letzte Zug nach Kairo war schon fort, als die »Usakama« ihre Fahrgäste in Port Said an Land gab. Für heute ließ sich nichts mehr unternehmen. Doktor Gransfeld nahm ein Zimmer im Splendidhotel und gab ein dringendes Telegramm mit bezahlter Rückantwort an seinen Onkel auf. Mochte die ägyptische Postverwaltung beschaffen sein, wie sie wollte, auf diese Weise hoffte er doch wenigstens bis zum nächsten Morgen eine Antwort aus Syut zu bekommen. Dann unternahm er noch einen kurzen Spaziergang durch die Stadt bis zum Denkmal von Ferdinand Lesseps, der hier einst mit kühner Hand zwei Erdteile durch eine künstliche Wasserstraße getrennt hatte.
Mit dem Vorsatz, sich sofort zur Ruhe zu begeben, kehrte Doktor Gransfeld schließlich zum Hotel zurück. Als er schon vor dem Lift stand, drang vom Gesellschaftssaal her Musik an sein Ohr. Eine europäische Kapelle war es und, wie es schien, sogar eine recht gute. Er änderte seine ursprüngliche Absicht und beschloß, dort noch ein paar Stunden zu verbringen. Vielleicht, daß inzwischen noch die telegraphische Antwort kam.
In einer Nische, zwischen springenden Wassern und Pflanzengruppen, fand er einen zusagenden Platz. Leicht gedämpft drangen die Klänge des Orchesters hierhin, und während er selbst halb versteckt saß, konnte er den größten Teil des Saales bequem überblicken. Reichlich international war die Gesellschaft, die sich hier aus drei Weltteilen zusammengefunden hatte. Neben englischen Beamten, die ihr Dienst nach Ägypten rief, neben Franzosen und Holländern, die auf dem Wege nach den hinterindischen Kolonien waren, sah man auch allerlei dunkelhäutige Gestalten, die aus dem Inneren Arabiens und des Sudans stammten. Auch solche Gesichter erblickte er, die er von der »Usakama« her kannte.
Der Herr am vierten Tisch dort, war das van Holsten oder war er’s nicht? Eben noch glaubte Gransfeld seiner Sache sicher zu sein, aber im nächsten Augenblick begann er schon wieder zu zweifeln. Er kniff die Augen zusammen, um schärfer zu sehen. Unbedingt, er war’s, mußte es sein. Dennoch, wie merkwürdig verändert sah der
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