Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
Schaufeln, Hacken und Brecheisen lagen gegen die Wand getürmt. Dicht am Rand der Galerie, unter der neun Meter tief die Diele des unteren Stockwerks lag, stand ein riesiger, zu dreiviertel mit Schutt gefüllter Metalleimer, der einem großen Mann mindestens bis an die Hüften gereicht hätte, auf einfachen Holzwalzen. Von den drei Stahlösen am Eimerrand liefen kurze Ketten an einem Haken zusammen, der am Ende eines dicken Seils befestigt war; es hing schief von dem Rand eines Flaschenzugs durch, der hoch oben an einen kaum mehr wahrnehmbaren massiven Deckenbalken montiert war. Die Kapelle war ausgeräumt worden, auf dem Boden lagen Sand- und Ballasthaufen, lange Balken, Zementsäcke und weiteres Werkzeug. Aus dem einfachen Handwerkszeug schloß Modesty, daß die Mönche die Restaurierungsarbeiten selbst durchführten.
Gefolgt von Borg, suchten sich Modesty und Willie ihren Weg durch das auf der Galerie herrschende Durcheinander. Ihr Blick schweifte ständig, allerdings ohne offenkundige Absicht, herum und prägte ihrem Gedächtnis jeden Schritt des Wegs ein. Am Ende der Galerie gingen sie nacheinander durch eine offene Tür, eine Reihe von Gängen entlang und gelangten schließlich zu dem großen Privatgemach des Abtes. Die beiden Diamantenkisten waren schon auf den Tisch gehoben worden. Die Männer schnauften nach der Anstrengung. Mrs. Fothergill schien allerdings keine gespürt zu haben; sie blickte hoffnungsvoll zu dem Tischchen mit den Getränken, dann zu Gabriel, als er die Kisten aufsperrte.
«Na schön», sagte Gabriel, «eine Runde. Hilf ihr, McWhirter.»
«Ich möchte einen –» begann Willie, schloß aber dann abrupt den Mund.
Gabriel nickte. «Du lernst zu», sagte er und sah Modesty an. «Wie gefällt dir unser Stützpunkt?»
«Er ist genauso gut wie alles übrige an dem Unternehmen», gab sie anerkennend zu. «Was geschieht nachher mit den Mönchen? Sie mögen ja schweigen – aber doch auch wieder nicht ganz. Sie könnten auf deine Fotografie deuten.»
«Dazu werden sie nicht kommen», sagte Gabriel.
«Alle weg.
A la Marie Celeste
. Höchst geheimnisvoll. Aber derzeit sind sie nützlich.»
«Ist es wahrscheinlich, daß ein Vorratsschiff ankommt? Es muß doch einen regelmäßigen Fahrplan geben.»
«Alle drei Monate. Und wir haben die Insel vier Wochen nach seinem letzten Besuch übernommen. Vor dem nächsten sind wir schon wieder weg.»
«Dann hast du allerdings keine Probleme. Außer dem Absetzen der Ware. Wann reden wir darüber?»
«Wenn ich dazu bereit bin.» Er sah Borg an. «Führe sie weg. Getrennte Zellen. Decken und eine Matratze, einen Eimer und ein Becken in jede. Dreimal täglich Essen. Zwei Stunden Bewegung. Im Gang eine Vierundzwanzigstundenwache.»
Modesty starrte ihn an, mit einer gekonnten Mischung aus Zorn und Unbehagen in den Augen. «Was, zum Teufel, bildest du dir ein, daß wir vielleicht versuchen?»
Gabriel öffnete die beiden Kisten, zog die Lagen der Wattierung weg und blickte auf die Diamanten hinunter.
«Ihr werdet kaum etwas versuchen können», sagte er geistesabwesend. «Das habe ich soeben sichergestellt.»
Die beiden Zellen lagen im obersten Stockwerk an den entgegengesetzten Enden eines engen Ganges; man erreichte das Stockwerk über eine Wendeltreppe vom unteren Geschoß herauf. Borg und ein magerer Spanier mit einem Narbengesicht und rotgeränderten Augen brachten die Gefangenen hinauf. In einer der Zellentüren steckte ein schwerer Eisenschlüssel. Die Tür stand offen, war aus dickem Holz und hatte ein kleines Metallgitter. Sie war zwar alt, aber doch um ein volles Jahrhundert jünger als das Kloster. Modesty vermutete, daß das Kloster irgendwann einmal in seiner langen Geschichte als Festung gedient haben mußte.
Borg stieß die Zellentür weit auf. Man hatte schon eine Strohmatratze und zwei Decken heraufgebracht und auf den Boden geworfen. In einer Ecke standen ein Eimer und eine Eisenschüssel. Eine schwache Glühbirne hing an einem Litzendraht von der Decke.
An der Wand gegenüber der Tür befand sich hoch oben ein kleines, vergittertes, unverglastes Fenster.
Willie sah Modesty an. «Wann rechnest du, daß wir essen?» fragte er.
«In einer halben Stunde, hoffe ich.»
«Gut.»
Borg knurrte: «Ihr eßt morgen.» Er versetzte Willie einen Stoß, so daß er in die Zelle stolperte. Die Tür schloß sich hinter ihm, und der Schlüssel wurde umgedreht.
Die zweite Zelle lag dreißig Schritte weiter. Sie sah genauso aus, nur führte an der
Weitere Kostenlose Bücher