Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
geändert. Dann sah er einen dünnen silbrigen Faden von der Mitte des Kammes ins Tal hineindringen; und dann noch einen zweiten und breiteren Faden von einem anderen Punkt aus. Er versuchte ungefähr die Tonnage des Wassers zu berechnen, das nun ins Tal hinabstürzte, aber er gab es bald auf, denn nun waren es bereits ein Dutzend Fäden, die sich ständig verbreiterten. Schwarze Linien begannen sich gegen das Grauweiß des Kammes abzuzeichnen. Er sah diese schwarzen Linien sich ausweiten. Wie in einer Zeitlupenaufnahme barst der Kamm in seiner ganzen Länge. Die Wassermassen des Sees begannen sich in das Tal zu ergießen.
«Wunderbar», sagte Willie mit tiefer Befriedigung.
«Dieser verdammte Karz soll jetzt einmal versuchen, den ganzen Laden wieder hochzubekommen. Toll, hast du gesehen, wie der Kamm geborsten ist, Prinzessin?»
Er hielt inne. Ihr Kopf hing seitlich herab. Sie hatte die Augen geschlossen. Nur die Gurte hinderten sie daran, daß sie vom Sitz herunterfiel. Der Kongo lag auf dem Boden, ihr verletzter Arm hing lahm herab. Und immer noch rann das Blut über ihren Ärmel.
Willie fluchte vor Schreck. Ein Gefühl der Panik überkam ihn, und auf der Stirn standen ihm die Schweißperlen.
Modesty hatte argen Blutverlust. Die Dove war zwar mit einer automatischen Steuerung ausgestattet, aber es würde noch gute zwei Stunden dauern, ehe er aus den Bergen heraus war – wenn er überhaupt jemals herauskam. Das hieß, daß er es frühestens in zwei Stunden wagen konnte, auf die Automatik umzuschalten und sich um Modestys Arm zu kümmern.
Er flog einen weiteren ansteigenden Bogen und drängte gewaltsam und erbittert die Angst in seinem Innern zurück, bis er wieder kühl überlegen konnte.
Bald würde es heller werden. Die Dove war ein folgsames kleines Flugzeug. Abgesehen von drei oder vier schwierigen Stellen auf seiner Route, die in seinem Gedächtnis wie auf einer Filmspule festgehalten waren, konnte er die Dove ganz gut mit einer Hand steuern.
Er langte zu ihr hinüber, legte Daumen, Zeigefinger und Handfläche um ihren bandagierten Arm und drückte die große Hand wie eine Klammer zusammen.
«Um alles in der Welt, Prinzessin», flüsterte er, «laß mich jetzt nicht allein.»
Er schaltete die Gedanken an seine rechte Hand völlig ab und wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem Fliegen zu.
Das erste Licht der Dämmerung erhellte das Tal. Die Wasser des Sees waren über den Rand des geborstenen Kammes getreten und hatten das ganze Tal überflutet.
Auf dem Pistenende stand das Wasser fast zwei Meter hoch und am anderen Ende, jenseits der Talenge, einen Meter. Die Unterkünfte, die höher lagen, spiegelten sich in der gekräuselten Oberfläche.
Hier und dort trieb eine Leiche. Eine Gruppe von Männern stand auf der erhöhten Plattform der Arena und starrte still und verloren hinab. Die Frauen im Palast weinten.
Viele Männer hatten sich bereits davongemacht.
Schwimmend oder kletternd suchten sie sich vor der Flut zu retten und in die Seitentäler, die sich nach allen Richtungen hin erstreckten, zu entkommen. Die beiden Baracken, in denen die Sprunganzüge der fliegenden Infanterie lagerten, waren überflutet. Die Anzüge waren nicht mehr zu gebrauchen.
Sarrat, Brett und Hamid befanden sich in dem teilweise überfluteten Lebensmittellager im Palast und trafen stille Vorbereitungen für ihren Abgang. Thamar stand mit der Maschinenpistole über der Schulter draußen auf der Treppe, das Gesicht weiß vor Schreck.
Verständnislos starrte er auf die drei Männer, die mit schweren Paketen beladen herauskamen.
«Was soll das?» fragte er.
«Wir gehen», antwortete Brett. «Was, zum Teufel, hast du denn geglaubt?»
«Aber – ihr könnt doch nicht weg!» Staunen stand in seinem melancholischen Gesicht.
«Wir können es versuchen. Sarrat meint, wir können westlich abschneiden, ein wenig klettern und dann weiter südlich wieder auf den Fluß stoßen. Er könnte recht haben.»
«Aber ihr habt doch keinen Befehl von Karz!»
«Karz?» Brett lachte böse. «Frag ihn doch nach seinen Befehlen, Thamar. Da kommt er ja.»
Die wuchtige Gestalt stapfte auf sie zu. Er bewegte sich langsam wie ein Automat. Sie warteten schweigend, bis er die Treppe heraufkam. Sein Gesicht war ausdruckslos, die Augen zusammengekniffen. Er betrachtete die versammelten Kommandeure, und einen Augenblick lang erweckte seine starke Persönlichkeit Angst in ihnen. Dann sprach er, und seine Stimme war schrill und gebrochen wie die Stimme
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