Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
Vielleicht war es aus eben diesem Grunde für Dinah noch entsetzlicher – sie hörte die Geräusche, spürte die Spannung, nahm jedes Keuchen oder Atemanhalten der Zuschauer rings um sich wahr und war doch unfähig, etwas zu sehen, wußte nichts, konnte es sich nur vorstellen. Collier spürte, daß seine eigene Vorstellungskraft ihn schon in den Zustand einer schaudernden Übelkeit versetzt hatte.
Wieder schaute er zu Modesty. Die Linien ihres athletischen Körpers waren fest und schön. Die straffen Brüste hoben und senkten sich nur leicht, während sie jetzt zur Mitte der Arena schritt.
Willie Garvin saß ganz still. Eine Hand hatte er auf dem Knie, die andere umschloß Dinahs Hand. Seine Augen waren auf Modesty Blaise gerichtet, und sein Gesicht war bar jeglicher Empfindung.
In der Arena blieb Wenczel zehn Schritt von Modesty entfernt stehen, drehte sich zum Podium um und hob in glanzvollem Salut den Degen vertikal vor sich in die Höhe, wandte sich dann um und grüßte Modesty in der gleichen Weise. Wenn ihre Nacktheit ihn überraschte, zeigte sein Gesicht jedenfalls keinerlei Reaktion. Ruhig, aber deutlich, mit einer Stimme, die an jedes Ohr drang, sagte sie: «Wie stilvoll. Aber jetzt versuchen Sie mal, sich das Ding an den Arsch zu hängen.»
McWhirter kicherte. Delicata wurde von Heiterkeit geschüttelt.
Collier fühlte eine kurze Verwirrung; dann begriff er, daß ihre Grobheit Berechnung war. Eine Beleidigung seines Degens war eher geeignet, Wenczel aus dem Gleichgewicht zu bringen, als eine Beleidigung, die gegen ihn selbst gerichtet war.
Modesty sah, wie das arrogante Gesicht sich vor Wut verkniff. Dann entspannte es sich, und Wenczel studierte ihren Körper so unpersönlich und analytisch wie ein Chirurg, der das Arbeitsgebiet einer Operation betrachtet.
Delicatas tiefe, volle Stimme sagte: «Bitte lassen Sie uns nicht warten.»
Wenczel hob den Degen und fiel in die
en garde
Position. Modesty folgte seinem Beispiel. Die Klingen kreuzten sich.
Es gibt beim Fechten eine Flut des Erkennens zwischen den Gegnern, die mit dem ersten Berühren der Klingen einsetzt wie ein durchfließender elektrischer Strom. In dem kurzen Augenblick dieser ersten federleichten Begegnung erkannte Modesty, daß sie einem Meister gegenüberstand, dessen Können vollkommen war. Da war keine Zeit mehr zum Nachdenken. Wenczel hatte sie mit einer solchen Geschwindigkeit und Wildheit angegriffen, daß ihr keine Gelegenheit zu einer Ripost blieb. Ihre Paraden waren von gewagter Spärlichkeit – ein bloßes Beiseiteschieben seiner Klinge. Sie konnte sich mehr nicht leisten, denn seine Ausfälle gegen ihre Klinge, seine wechselnden Einladungen und Kontraparaden waren von so blendender Schnelligkeit, daß ihr nichts übrigblieb, als ständig zurückzuweichen, abzuwehren und den Fechtabstand zwischen ihnen so weit wie möglich zu halten.
Auf einer Fechtpiste wäre sie schon längst über die hintere Begrenzung hinausgetrieben worden. Hier gab es keine von Regeln bestimmte Begrenzung, doch da war die niedrige Mauer am Ende des Ovals, und sie wußte, daß diese Mauer ihr jetzt ganz nahe sein mußte.
So behauptete sie ihren Standplatz gegen Wenczels vorschnellende Klinge.
Ausfall, Reprise, Auslagestellung – seine mühelos gleitende Art, in letztere zurückzufedern, grenzte ans Wunderbare. Sie wich von neuem einer plötzlichen Balestra (einem mit beiden Füßen erfolgenden Vorwärtssprung) aus, und bei dem darauffolgenden geschmeidigen Ausfall schien es, als ob sein Körper, Arm und Klinge sich weit über das mögliche Ausmaß hinaus vorstreckten.
Weil sie sich außer Reichweite geglaubt hatte, kam ihre Parade um den Bruchteil einer Sekunde zu spät, und die scharfe Spitze der dreieckigen Klinge ritzte die Außenfläche ihres Oberschenkels. Wenczel ging in Auslagestellung und trat außer Reichweite. Er schaute auf die breiter werdende rote Linie in ihrem Fleisch, lachte abrupt auf, wandte sich dann um und ging weg, während er sie über die Schulter beobachtete.
Modesty beugte ihr Bein. Der Muskel war unverletzt. Ihr Körper glänzte von Schweiß, als sie zur Mitte der Arena ging, wo Wenczel sie erwartete. Sie war nicht unzufrieden. Beim Kampf mit dem Degen ist es der Schwertarm, der die meisten Treffer empfängt.
Wenczel hatte darauf abgezielt, aber sie hatte ihn zumindest zwingen können, beim erstenmal anderswo Blut zu ziehen. Und sie war nur mit einem tiefen Kratzer bei einem Stoß davongekommen, der eigentlich in den
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