Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
Muskel dringen sollte.
Da war noch etwas anderes. Wenczel hatte eine Schau abgezogen, die zum Teil für die Zuschauer und zum Teil dazu bestimmt war, eine totale Vorherrschaft durch seine Schnelligkeit zu etablieren. An sich eine gute Taktik, aber nicht für einen langen Kampf. Niemand konnte dieses Maß an Geschwindigkeit aufrechterhalten. Außerdem würde Wenczel, wenn der Kampf nach dem orthodoxen Prinzip fortgesetzt wurde, sie mit Sicherheit töten. Aber für ihre eigenen Pläne war es notwendig, dieses Prinzip noch eine Weile aufrechtzuerhalten und erstarren zu lassen. Ihre Aufgabe während dieser Zeit bestand darin, am Leben zu bleiben.
Sie nahm ihre Position wieder ein, und von neuem berührten sich die Klingen. Wenczel begann sie zur Parade herauszufordern – eine der grundlegenden Taktiken beim Degenfechten, bei der man die absichtlich ungedeckte Finte oder die Halbkontraparade dazu benutzt, beim Gegner den Sperrstoß als Oppositionsparade hervorzurufen, damit man die Klinge annehmen und dann angreifen kann.
Sie spielte aufmerksam mit seiner Klinge, taxierte sie prüfend, erprobte die Halbkontraparade und achtete darauf, sich nicht zurücktreiben zu lassen. Als Wenczel dann begann, mit wiederholten Ausfällen seine größere Körperkraft einzusetzen in dem Versuch, sie dadurch zu ermüden, nahm sie mit Hand und Klinge eine Linie ein, die beinahe der Sixtparade entsprach, so daß es Wenczel erschwert wurde, Kontakt zu finden.
Sie lernte während dieser Phase eine Menge über Wenczel, und vor allem entdeckte sie seinen Rhythmus, seine natürliche Geschwindigkeit in einer Reihenfolge von Bewegungen, die im Gegensatz zu seiner Schnelligkeitstaktik während der ersten Phase stand.
Auf den breiten Steinstufen hatte Collier gewürgt und sich während des ersten erschreckenden Angriffs beinahe erbrochen. Jetzt saß er verkrümmt und schwitzend da und bohrte sich die Fingernägel in die verkrampften Hände.
Dinah Pilgrim versuchte die Bilder auszulöschen, die in ihrem Innern immerfort entstanden durch das Klirren der Degen, die leisen, wortlosen Laute von Steve und den Wechsel in Willies Atmen. Ihre Hand, die Willie Garvin hielt, tat schrecklich weh, denn er zerdrückte sie fast. Sie sagte es ihm nicht. Der Schmerz trug dazu bei, ihre Phantasiebilder zu verschleiern.
Nicht ein Muskel hatte in Willies Gesicht gezuckt, aber nun zeigte sich ein ganz leiser Schimmer der Erregung in seinen Augen. Der erste Angriff hatte ihm Angst gemacht, doch das war jetzt vorbei. Je länger der Kampf andauerte, um so besser standen die Chancen für Modesty. Wenczel mochte der größte Fechtmeister sein, den es je gegeben hatte, aber das Fechten war nur eine Form des Kampfes. Das Wesentliche in einem Kampf war es, seinen Feind zu erkennen. Und für Willie Garvin stand es fest, daß Modesty von Wenczel in zwei Minuten mehr wissen würde als er von ihr in zwei Wochen.
Wieder griff Wenczel an – diesmal mit kalter und schöner Präzision. Modesty wich zurück, aber jetzt geschah dieses Zurückweichen nur abschnittweise und kontrolliert. Ihre Riposten waren selten und dienten eher dem Experiment als der Sache. Mit ihrem nackten Oberkörper hätte sie von Sinnen sein müssen, wenn sie sich unbesonnen auf etwas eingelassen hätte, zumal ihre einzigen Zielpunkte nur Wenczels Kopf und Glieder waren.
Dies war ein langer, eleganter Abschnitt, in dem Wenczel jeden klassischen Hieb zur Anwendung brachte. Durch ihre eigene Reaktion ermunterte sie ihn noch dazu, in dem Wissen, daß er das Künstlerische seines Tuns aufs höchste genoß. Zweimal traf seine Klingenspitze. Auf der Übungspiste wären das mit geschützter Degenspitze und gegen ein Plastron bloße Berührungen gewesen; aber hier war es anders. Als sie endlich aus seiner Reichweite sprang, zeigte sich eine kleine runde Blume aus Blut über ihrer rechten Brust und ein häßlicher Riß an den Rippen.
Einen Augenblick lang betrachtete er sie mit verengten Augen, während sich ein Anflug von mürrischem Respekt auf dem hochmütigen Gesicht abzeichnete.
Dann ging er in
en garde
-Stellung. In seinem Verhalten zeigte sich ein neues Element. Wenczel kam jetzt zur Sache.
Sie stieß die Klinge vor und ging zum erstenmal zum Angriff über. Damit überrumpelte sie ihn leicht.
Ihr Vorstoß war eine
prise de fer
, eine Umgehung der Klinge. Gegen die Stärke seines Handgelenks und seiner Finger hätte das eine schlechte Taktik sein können, aber in jedem Kampf gibt es einen Augenblick der
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