Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
halbe Stunde dafür eingerechnet.
Wenn ein Wachtposten sich während einer halben Stunde nicht rührte, schlief er.
Er rührte sich nach zehn Minuten. Sie sah das Aufleuchten eines Streichholzes, als er sich eine Zigarette anzündete. Dann trat er aus dem Schatten des Flugzeugs und begann langsam auf den Eingang des Tals zuzuschlendern, der etwa hundert Meter rechts von ihr lag.
Sie bewegte sich auf einem mit dem seinen zusammenlaufenden Pfad an der Flanke des Berges entlang.
Als er die halbe Entfernung zurückgelegt hatte, war er noch dreißig Schritt von ihr entfernt. Sie setzte einen Pfeil auf die Sehne. Ihre Beine standen ein wenig gespreizt, ihre linke Schulter war direkt auf das Ziel gerichtet und ihr Körpergewicht leicht nach vorn verlagert. Der Mann war jetzt nicht mehr nur eine Silhouette. Deutlich konnte sie sein Profil erkennen. Während sie den Bogen hob und ihn in einer einzigen geschmeidigen Bewegung spannte, gab sie mit der Zunge einen schnalzenden Laut von sich – ein bedeutungsloses, verwirrendes Geräusch. Der Mann wandte sich um und spähte umher. Sofort ließ sie die Sehne fahren und hörte den weichen Aufprall des eindringenden Pfeils. Der Mann sank in die Knie und fiel dann nach vorn. Die über seine Schulter hängende Maschinenpistole verursachte nur geringen Lärm, als sie auf dem Boden aufschlug. Sie wartete, den zweiten Pfeil auf der Sehne haltend. Er rührte sich nicht. Im Taleingang bewegte sich niemand.
Nach sechzig Sekunden ging sie wachsam vorwärts.
Der Mann war tot. Der 26 Zoll lange Pfeil hatte ein wenig seitlich vom Herzen den Brustkorb durchbohrt.
Sie ließ seine Waffe zurück, denn sie zu benutzen würde Lärm bedeuten, und Lärm war gleich Mißerfolg.
Indem sie sich zu der Felswand zurückbewegte, schob sie sich langsam zum Taleingang vor.
Er war unbewacht. Der Tote mußte sowohl für den Eingang wie für die Cessna verantwortlich gewesen sein. Sie passierte die breite Gesteinsspalte. Fünf Minuten später sah sie, während sie sich eng an die unregelmäßige Flanke des Felsens drückte, die Tür, die den Gemeinschaftsraum abschloß. Sie lag direkt vor ihr und bot sich ihr im schrägen Winkel dar, denn an dieser Stelle beschrieb der Fels eine nach innen gerichtete Kurve.
Ein Wachtposten in einer Jacke aus Schaffell und mit einer 40er Schmeisser-Maschinenpistole über der Schulter schritt langsam vor der Tür auf und ab. Nach einer Weile wurde ihr klar, daß er allein war. Zuvor waren immer, wenn die Tür sich öffnete, zwei Wachtposten dagewesen. Es schien, daß Delicata einen abgezogen hatte, um die Fundstelle des Schatzes zu bewachen.
Der Boden hier war Fels, und sie machte sich Sorgen um den Lärm, den die Waffe des Mannes hervorrufen würde, wenn er stürzte. Fünf Minuten wartete sie in der Hoffnung, daß er sich zu einer kurzen Pause hinsetzen oder seine Waffe abnehmen und sie an die Wand lehnen würde.
Sein ständiges Aufundabschreiten ging weiter. Sie hatte gerade den Entschluß gefaßt, dicht heranzukriechen, dann das letzte Stück vorzustürzen und den Kongo zu benutzen, als der Mann in seinem Hin und Her innehielt und auf die Tür zuging. Er wandte den Kopf, preßte sein Ohr an die Tür und lauschte. Ihr Pfeil, mit der vollen Wucht des Bogens abgeschossen, schleuderte seinen Körper gegen die Tür, während er starb.
Er sank zusammen und zog den Pfeil mit sich herunter. Modesty erreichte ihn eben in dem Augenblick, als die Pfeilspitze herausfederte, und fing sein Gewicht ab, um ihn dann lautlos zu Boden zu bringen. Die Wunde in ihrem Arm zuckte in heftigen, schmerzhaften Krämpfen. Sie achtete nicht darauf und zog die stählernen Riegel aus ihren Ösen.
Skeet Lowry stand vor ihr, als sie die Tür öffnete.
Der Gemeinschaftsraum hinter ihm lag im Dunkeln. «Hat Willie sie alle startbereit?» flüsterte sie.
Seine Stimme war nur ein Murmeln. «Er hat ihnen Todesangst eingejagt, Madam. Die werden genau das tun, was er ihnen gesagt hat.»
Sie nickte und gab dann ein Zeichen mit dem Kopf.
Skeet Lowry trat heraus und begann ohne Hast seitlich an der Felswand entlangzugehen, die zum Ausgang des Tals führte. Seinen Schlafsack trug er unter dem Arm.
Stephen Collier und Dinah folgten. Er hielt ihre Hand. Modesty sah, wie seine Augen einen Moment auf dem toten Wachtposten verweilten, aus dessen Rücken der Pfeil ragte; dann schaute er sie an und nickte in grimmiger Zustimmung. Ohne ein Wort, gehorsam Willies Befehlen, ging er weiter.
Mrs. Tangye hielt den
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