Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
einfach schlafen, dann ist das ungeheuer spießbürgerlich.»
«Unromantisch?»
«Genau das. Und was ist schlimmer als eine unromantische Geliebte? Außerdem brauchst du dringend eine Behandlung gegen den Schock, den du erlitten hast. Ich weiß ein großartiges Heilmittel.»
«Tut es weh, Jan?»
Sie spitzte die Lippen und schüttelte den Kopf. Ihre grünen Augen sahen ihn mit feierlichem Ernst an.
«Nicht, wenn man es richtig macht. Die einzige Vorbedingung ist, daß du gut zwischen den Schenkeln einer warmherzigen Lady eingeschlossen bist.»
«Einer Lady? Welch ein Glück, daß du zufällig bei mir bist, Jan. Und das ist alles, was man braucht?»
«Nun, nicht ganz, aber es ist jedenfalls ein vielversprechender Anfang.»
Er lachte und hob sie mühelos in die Höhe, obwohl sie kein zartes Mädchen war. Sie schmiegte ihre Wange an die seine, und während er sie ins Schlafzimmer trug, spürte sie beglückt die Erleichterung, die ihn erfüllte.
Plötzlich überkam sie heiße Erregung bei dem Gedanken, daß er heute nacht bei ihr und nicht bei der anderen Frau Erlösung von der Anspannung der letzten halben Stunde finden würde.
In den letzten Jahren hatte sich ihr Gefühl gegenüber Modesty von verhaltener Feindseligkeit zu neidvollem Respekt und dann, nach den Schrecken der Château-Lancieux-Affäre zu neidloser Anerkennung und sogar zu Zuneigung gewandelt. Jetzt akzeptierte sie ohne Bitterkeit, daß Modesty Willie Garvin praktisch erschaffen, oder zumindest wiedererschaffen hatte, und daß ihre gemeinsamen Jahre ihn zu einem Teil von ihr gemacht hatten. Und doch schliefen die beiden nie zusammen. Das hatte Janet verwirrt, und erst allmählich hatte sie begriffen, daß eine körperliche Beziehung das Verhältnis zwischen den beiden verändert hätte. Es ging nicht darum, daß sie sich etwas versagten. Janet vermutete vielmehr, daß die beiden sich einfach keine Möglichkeit vorstellen konnten, die diese Beziehung, die beide so völlig befriedigend fanden, noch verbessern könnte.
«Du», murmelte sie in Willies Ohr, als er die Schlafzimmertür mit dem Fuß aufstieß, «ich bin froh, daß deine verrückte Prinzessin alles gut überstanden hat.»
Dann drang noch ein leiser rauher Ton aus ihrer Kehle, und sie grub die Zähne sanft in seinen Hals.
3
Modesty befestigte einen breiten Gurt über der Koje, in der der Mann lag, dann hielt sie inne, um Atem zu schöpfen. Es war nicht einfach gewesen, ihn in dem schaukelnden Boot auszuziehen und in ein nasses Laken zu wickeln. Für ein, zwei Minuten hatte er das Bewußtsein erlangt, und sie hatte die Gelegenheit genutzt, ihn aufzusetzen und ihm aus einem Plastikbecher Wasser in die Kehle zu träufeln. Sie war froh, daß er jetzt wieder bewußtlos war; sein Gesicht und sein Körper wiesen schwere Brandwunden auf.
Sie warf einen Blick durch die Luke; der Himmel war dunkel, die Wellen gingen hoch, und Modesty verließ rasch die Kajüte, während sie sich den Sicherheitsgurt umlegte. Nahe dem Schiff tauchten zwei große Delphine auf. Das hieß, daß der weiße Hai verschwunden war. Ein Delphin hat niemals böse Absichten, aber er kann einen Hai mit einem Dreißig-Knoten-Schlag hinter die Kiemen töten. «Und wo wart ihr, als ich euch gebraucht habe?» rief sie und rollte dann die Fock ein, bevor sie sich an das Großsegel machte. Es mußte stark gerefft werden; wenn das schlechte Wetter kam, und es würde sehr bald kommen, durfte sie nicht mehr als ein, zwei Quadratmeter Segelfläche riskieren.
Lange bevor sie mit der Arbeit fertig war, blies der Wind die Schaumkronen von den Wellen, und sie wurde über und über naß. Sie ging nach achtern und rollte zwanzig Klafter Schlepptau auf; das würde als Warpleine dienen und das Boot stabilisieren. Als sie alles an Deck festgemacht hatte und in die Kajüte zurückkehrte, schaukelte die
Wasp
in eine Zehn-Meter-See und stieg und fiel wie eine Berg- und Talbahn, so daß sie keine Bewegung machen konnte, ohne sich festzuhalten.
Ihre Muskeln schmerzten, als sie die nassen Kleider abstreifte, ins Waschbecken warf und alles Bewegliche in der Kajüte zu sichern begann. Als sie fertig war, war ihr Körper trocken. Sie zog frische Shorts und ein Bikinioberteil an, wobei das fortwährende Stampfen der kleinen Slup jede Bewegung zu einem Problem machte. Mit einer Tube Brandsalbe aus der Reiseapotheke kniete sie neben dem Bett nieder und begann, die Salbe vorsichtig über das verbrannte Gesicht des Mannes zu verteilen. Mit einer Hand
Weitere Kostenlose Bücher