Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
Radio.
Der Mann, der sich Lucian Fletcher nannte und der wohl kaum der sein konnte, der zu sein er vorgab, konnte jetzt warten, bis sie Willie Garvin beruhigt hatte.
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Es war ganz still in der Dachkammer. Das einzige Geräusch war das schwache Knistern aus dem Radio. Willie Garvin saß gedankenverloren da und zeichnete mit großer Sorgfalt etwas, das Lady Janet für ein sehr kompliziertes Schaltbild hielt.
Mehr als fünf Minuten, seit sie sich abgemeldet hat, dachte sie.
So oder so müßte jetzt alles vorüber sein. Entweder sie hat ihn herausgezogen oder der Hai hat ihn erwischt, den armen Teufel. Und was immer auch geschehen ist, sie wird es uns mitteilen … außer … Willie sagte, daß sie vielleicht ins Meer springen würde, um ihn zu retten … Aber wie konnte sie ihn jemals herausbekommen? Und sich selbst … ? Janet drückte die Zigarette aus und blickte Willie an.
Er hatte von Anfang an gewußt, was dort draußen von Modesty verlangt werden würde, und er hatte sich überhaupt nichts ausgemalt.
Janet wünschte, sie wäre auch dazu imstande. Lebhafte Bilder aus dem «Weißen Hai» gingen ihr durch den Kopf und sie spürte, wie sich ihr Magen in kaltem Entsetzen zusammenzog.
Sie versuchte unbeschwert zu wirken, als sie Willie fragte: «Was wird Modesty tun, wenn sie ihn an Bord hat?»
Willi fügte dem Schaltbild einen Kondensator hinzu.
«Das hängt davon ab», antwortete er. «Wenn es um Leben und Tod geht, wird sie einen Ruf auf 2182 kHz aussenden. Das ist die internationale Seenotfrequenz.»
Er blickte auf und wies auf den FT 101-Empfänger.
«Für die Amateurfrequenzen benutzt sie den gleichen Apparat wie wir eben jetzt, als wir auf dem 20-Meter-Band waren. Aber sie hat auch ein Schiffsradio, und das Notsignal wird von den Küstenfunkstellen, von größeren Fischerbooten, von Schiffen über dreihundert Tonnen, von Wetterschiffen, Kriegsschiffen und der Küstenpatrouille aufgefangen. Also wird sie ganz bestimmt gehört werden, besonders in der stillen Periode.»
«Was heißt das?»
«Drei Minuten nach jeder vollen Stunde und jeder halben Stunde darf man die Notkanäle nur benutzen, wenn es sich um einen Hilferuf handelt. Wenn der Kerl in seinem Schlauchboot nicht zu schlecht dran ist, dann wird sie vermutlich einfach dringend nach Sydney funken und denen dort überlassen, was sie tun wollen. Sie könnten ein Schiff zu ihr dirigieren, falls sich eins in der Nähe befindet …»
Er hielt inne. Das Knistern im Lautsprecher hörte auf. Stille, dann Modestys Stimme, rasch atmend: «Willie? Hört man mich?»
Er legte den Bleistift weg und nahm das Mikrofon auf. Seine Bewegungen waren ohne Hast, doch Janet sah, daß seine Knöchel weiß wurden, als er das Instrument umfaßte. Er sagte rasch: «Ich hör dich, Prinzessin. Was ist geschehen?»
«Er ist heil an Bord, Willie. Aber ich mußte ins Wasser.» Sie hörten einen langen zitternden Atemzug.
«Ich verstehe nicht, wie einige dieser Tiefseetaucher mit Haien herumspielen können. Ich fürchte mich zu Tode. Überdies bin ich erstaunt, daß du mich noch hören kannst. Hier wird es ziemlich dunkel, und im Norden zieht ein Sturm auf. Ende.»
Willie lächelte Janet an, atmete tief und erleichtert aus und sagte ins Mikrofon: «Deine Stimme schwankt ein wenig, Prinzessin. Wir sind sehr froh, daß du in Sicherheit bist. Kann ich von hier aus etwas für dich tun?»
Das Knistern im Hintergrund wurde deutlich lauter, aber ihre Stimme war immer noch hörbar, als sie sagte:
«Ja, bitte. Ich sag es dir rasch. Dieser Mann leidet an Erschöpfung und Sonnenstich. Ich glaube, er steht auch unter Schock. Ich werde versuchen, nach Sydney oder Wellington zu funken, vielleicht können sie ein Schiff schicken, das ihn aufnimmt, falls eins in der Nähe ist, oder ein Wasserflugzeug. Würdest du, falls ich nicht durchkomme, Ben Hollinson verständigen und ihn bitten, etwas zu unternehmen? Vor ein paar Stunden habe ich meine Position fixiert – warte, ich geb sie dir durch. Achtunddreißig zwölf Süd, einssechzig eins siebenundzwanzig Ost. Bitte wiederhole.»
Willie wiederholte die Zahlen.
«Gut. Ich weiß nicht genau, wo wir nach dem Sturm sein werden, aber ich werde jedenfalls versuchen, die Position zu halten und nicht weiterzufahren. Ich hoffe um seinetwillen, daß man ihn aufnehmen kann; wenn nicht, muß ich ihn eben nach Wellington bringen. Das ist das wichtigste. Und jetzt mach dich daraufgefaßt, etwas sehr Spannendes zu hören, falls wir die Verbindung
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