Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
Mutter, geweiht. Der Seidenschal war eine Modifizierung des
rumal
, den die Thugs für ihre rituellen Tötungen verwendeten.
In dem freien Ende war ein kleines Gewicht verborgen, und dadurch beschwert konnte die Seide nun in einer fließenden Kurve um Webers Hals und in Beauregard Brownes wartende Linke fliegen. Das alles geschah so rasch, daß Weber noch nicht einmal begonnen hatte, zu reagieren. Clarissa sah die scharfe Vorwärtsbewegung, sah, wie die kräftigen Handgelenke sich drehten und überkreuzten, so daß die Fäuste unterhalb Webers Ohr auf dem Hals zu liegen kamen. Der Kopf des Mannes fiel zur Seite, und sie hörte ein leises Geräusch, als der Hals brach.
Beauregard ließ den toten Mann zu Boden sinken und legte den
rumal
beiseite. Clarissa sagte: «Mein Gott, das war großartig, Beau. Absolut perfekt.»
«Auch du warst nicht schlecht, mein kleiner Honigtopf.» Er ging zum Tisch und reinigte vorsichtig die Gläser, die sie benutzt hatten. Clarissa schob den Leibwächter zur Seite, so daß er zu Boden fiel und auf dem Rücken lag. Dann zog sie den dünnen Draht aus seiner Brust und wischte ihn an der Zeitung ab. Es war kaum ein Blutstropfen zu sehen.
«Sollen wir die Speiche hierlassen oder mitnehmen, Beau?»
«Laß sie hier. Aber wart einen Augenblick, Schätzchen.» Er drückte Webers Finger auf eines der Gläser, die er gesäubert hatte, und die des Leibwächters auf ein anderes, dann stellte er beide wieder auf den Tisch.
«Gut, gehen wir.» Er wischte den Griff der Waffe ab, der nichts anderes gewesen war als ein Stück Besenstiel, legte ihn in Webers Hand und ließ sie zu Boden fallen.
«Hast du sonst etwas angefaßt?»
«Nein, ich war die ganze Zeit riesig vorsichtig, Beau.»
Seine violetten Augen blickten sie beifällig an. «Gut, Süße, dann können wir gehen.» Er nahm ihren Arm und überblickte nochmals die Szene. «Weber erstach den Gorilla, der Weber den Hals brach, bevor er starb.
Einer sehr genauen Prüfung wird das nicht standhalten, aber man muß einer überarbeiteten Polizei immer eine einfache Lösung anbieten, selbst wenn sie bezweifelt, daß es die richtige ist. Schließlich sind sie auch nur Menschen, nicht wahr, mein Schatz? Ich meine, stimmt es nicht?»
5
«Wenn es etwas gibt, das ich nicht leiden kann», sagte Judith Rigby und blickte zu dem Erfrischungsstand hinüber, «dann ist es eine Frau wie diese Blaise, die mit einem Mann herumzieht, der ihr Vater sein könnte.»
Es stimmte nicht, daß dies das einzige war, was die hübsche, energische Mrs. Rigby nicht leiden konnte.
Es gab eine beinahe unbegrenzte Zahl von Ärgernissen, die sie unerträglich fand, wie zum Beispiel abstrakte Kunst, Amateurpsychologen, Athleten und australische Kricketspieler, um nur ein paar in alphabetischer Reihenfolge zu nennen, aber wenn sie von ihrem Unvermögen sprach, diese Beleidigungen zu ertragen, dann beschrieb sie diese stets als einzigartig.
George Rigby, ihr Mann, verkaufte einem kleinen Pfadfinderjungen um zwei Pence ein altes
Superman
Comic-Heft und blickte zu dem momentanen Anlaß des Leidens seiner Frau hinüber. Das Mädchen hatte schwarzes Haar, das sie in zwei Pferdeschwänzen hinter die Ohren gebunden trug; sie hatte eine elegante karierte Bluse und einen Baumwollrock an. In einer Hand hielt sie eine Limonadeflasche, aus der sie mit einem Strohhalm trank, die andere Hand hatte sie auf den Arm eines grauhaarigen, gutaussehenden Mannes um die sechzig gelegt, der sich sehr aufrecht hielt.
George Rigby hatte das Mädchen mehrmals gesehen und einmal flüchtig kennengelernt. Sie hieß Modesty Blaise und hatte vor zwei, drei Jahren Haus
Ashlea
, ein weitläufiges Landhaus mit einigen Morgen Land, etwa zwei Kilometer von dem Dorf Benildon entfernt, gekauft und renovieren lassen. Seitdem verbrachte sie hier jedes Jahr zwei bis drei Monate. Ihre Besuche waren nicht regelmäßig; manchmal kam sie im Sommer, manchmal im Winter, für ein Wochenende, eine Woche oder einen Monat.
Man wußte im Dorf, daß sie reich war und meistens in einem Londoner Penthouse mit Blick auf den Hyde Park lebte, aber häufig ins Ausland verreiste. Sie schloß sich keinem der gesellschaftlichen Kreise in der Gegend an, aber sie war freundlich und nahm häufig an den Veranstaltungen des Dorfes teil, was ihr Spaß zu machen schien. George Rigby sah ihr nach, als sie mit Ihrem Begleiter über das kleine Feld schlenderte, wo das Fest stattfand, und sagte: «Vielleicht
ist
er ihr Vater.»
«Ach, Unsinn»,
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