Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
nahm ihren Ballen auf seine Gabel, warf ihn hinüber, setzte sich und zog eine halbgerauchte Zigarette hinter dem Ohr hervor. Sie sagte: «Danke, Davey» und erhielt ein anerkennendes Kopfnicken. «Da sind fünf Pfund, Mr. Hobbs.»
«Ja, das haben Sie gesagt, Miss.»
Tarrant überreichte die Note, und als er mit Modesty am Arm wegging, ertönte hinter ihnen ein Chor von «Danke» und «Auf Wiedersehen». Außer Hörweite fragte er: «Hätten Sie den alten Davey schlagen können?»
Sie blickte ihn verwundert an. «Nein, natürlich nicht. Erstens würde ich ihn niemals absichtlich gewinnen lassen und zweitens würde ich nicht Ihr Geld zum Fenster hinauswerfen.»
«Sie haben recht. Das war eine dumme Frage. Was für ein erstaunlicher Alter.»
«Er ist über siebzig, und bei diesem Wettkampf kann ihn niemand schlagen, nicht einmal Männer, die doppelt so stark sind wie er. Ich könnte ihm stundenlang zuschauen. Es ist ein ausgezeichnetes Beispiel für das, was man erreichen kann, wenn Zeitpunkt und Koordination perfekt sind.»
«Ich habe erlebt, wie Sie das unter etwas dramatischeren Umständen demonstriert haben.»
Sie warf ihm einen schnellen, etwas besorgten Blick zu und fragte: «Erinnere ich Sie an jene Zeit?»
Er dachte einen Moment nach. «Wann immer ich Sie sehe, erinnere ich mich sehr lebhaft an jene Minuten in den Höhlen, als Sie mit dem unbesiegbaren Sexton kämpften.»
«Ich meine an das, was sich vorher abspielte, als er versuchte, Sie fertigzumachen.»
«Nein», sagte er etwas kurz angebunden, «daran denke ich selten.»
«Ich will nicht indiskret sein, aber Sie scheinen mir, seit Sie hier sind, ein wenig traurig; ich hab mich bloß gefragt, was los ist. Als ich letzte Woche mit Ihnen telefonierte, schienen Sie unerhört vergnügt und freuten sich auf Ihre bevorstehende Pensionierung. Aber eben jetzt dachte ich, daß Sie vielleicht deprimiert sind, weil ich Sie an diese arge Zeit erinnere.»
«O nein, Modesty», sagte er leise. «Sie erinnern mich an nichts, das ich vergessen möchte. Es tut mir leid, wenn ich kein sehr fröhlicher Gesellschafter war. Ich wußte nicht, daß ich mir etwas anmerken ließ.»
«Was lassen Sie sich anmerken?»
Er seufzte und blickte umher. «Es stimmt, daß ich mich auf meine Pensionierung freue. Ich habe genug davon, meine Leute in lebensgefährliche Situationen zu bringen. Ach, ich weiß, es mußte sein, aber ich habe es lange genug getan und bin froh, wenn jemand anderer diese Bürde trägt.»
Sie blieben in der Nähe des Kasperletheaters stehen und sie fragte: «Also?»
«Also dachte ich, daß ich es zum letztenmal getan habe, aber vor drei Tagen mußte ich feststellen, daß ich mich geirrt hatte. Erinnern Sie sich an John Ryan?»
Sie dachte nach, dann schüttelte sie den Kopf.
«Nein. Einer Ihrer Agenten?»
«Sie hatten mit ihm zu tun, als ich von Ihnen in den Tagen des
Netzes
indisches Zeug kaufte. Er traf Sie in Marseille, um zu verhandeln.»
«Das war Alan Ritchie.»
«Nein, es war Ryan unter einem Decknamen. Er war einer meiner besten Leute.»
«Ich fand ihn beeindruckend. Warum sagen Sie ‹war›?»
«Er ist in Sofia aufgeflogen, und soviel ich weiß, sitzt er derzeit im Lubjanka-Gefängnis und wird ausgequetscht.»
«Werden die etwas Wichtiges von ihm erfahren?»
Tarrant zuckte die Achseln. «Vielleicht ein paar Hinweise. Nichts Wesentliches. Vielleicht bin ich alt und weich geworden, aber der Gedanke, daß er eben jetzt von Experten auseinandergenommen wird, deprimiert mich. Es tut mir sehr leid, wenn es mir nicht gelungen ist, Ihnen das zu verbergen.»
«Höchste Zeit, daß Sie in Pension gehen.» Sie blickte abwesend auf die Kasperlebude. «Ich habe einen Decknamen, unter dem ich in Ostdeutschland arbeiten kann, ebenso Willie. Vielleicht könnten wir jemand Wichtigen entführen und zum Tausch anbieten.»
«Nein», sagte er scharf. «Das wäre unmöglich. Außerdem möchte ich Ihr vorbehaltloses Versprechen, daß Sie aus dem, was ich eben sagte, keinerlei Konsequenzen ziehen.»
Kasperle hatte soeben den Polizisten überredet, zu zeigen, wie man einen Kopf in die Schlinge steckt, und jetzt war er zum Entzücken der zuschauenden Kinder dabei, ihn aufzuhängen. Modesty öffnete eine Schachtel mit hausgemachtem Kokoseis, das sie vor einer Weile gekauft hatte. «Gut», sagte sie, «aber wenn wir nichts dagegen unternehmen, dann wollen wir lieber nicht darüber sprechen.»
«Einverstanden. Nochmals, es tut mir leid.»
«Hat es irgend etwas
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